Zum Hauptinhalt springen

Indonesisches Militär lässt die Maske fallen

Von Thomas Lanig

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Man hätte es wissen müssen. Indonesiens Militär macht sich seit Jahrzehnten brutaler Menschenrechtsverstöße schuldig · in Osttimor, Aceh, Irian Jaya (Westneuguinea) und wo sonst es den Generälen

notwendig erschien. Solange der im Westen geschätzte Machthaber Suharto in Jakarta regierte, drückte die Weltöffentlichkeit aber gern beide Augen zu, ökonomische und strategische Interessen geboten

Zurückhaltung.

Als dann die Vereinten Nationen am 5. Mai mit Indonesien und Portugal den Vertrag über ein Referendum in Osttimor schlossen, übertrug die internationale Gemeinschaft den Generälen sogar die

ehrenvolle Aufgabe, den heiklen Übergang in der früheren portugiesischen Kolonie zu begleiten. Und das, obwohl in Osttimor seit 1975 mehr als 200.000 Menschen einem Völkermord der Streitkräfte zum

Opfer gefallen sind.

Jetzt lassen die indonesischen Militärs in Osttimor die Maske fallen. Am Montag machten sie nach Augenzeugenberichten ganz offen gemeinsame Sache mit den Milizen, die sie bisher eher im Hintergrund

bewaffnet und unterstützt hatten. Nach Augenzeugenberichten verfrachteten Soldaten und bewaffnete Schlägerbanden zusammen Tausende von Flüchtlingen auf Lastwagen, um sie ins indonesische Westtimor zu

bringen.

"Die Lage ist katastrophal", sagt die deutsche Entwicklungshelferin Anna Blume, die mit ihren Kollegen von der Hilfsorganisation IFED auf ihre Evakuierung wartet. Als sie am Telefon in Dili von

Gräueltaten der Milizen berichtet, knallen in unmittelbarer Nähe Schüsse. "Wir wissen nicht, was mit unseren Leuten passiert ist", sagt Blume.

Offensichtlich schert sich die Militärführung in Jakarta unter General Wiranto wenig um das internationale Echo auf die Tragödie in Osttimor. "Das ist wie in China vor zehn Jahren", sagt ein Asien-

Experte. "Wenn Generäle die Sicherheit des Landes und ihre Interessen bedroht sehen, kümmern sie sich nicht um die Reaktion der Weltöffentlichkeit."

Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Militärs in Jakarta nichts mehr fürchten, als einen relativ friedlichen Abschied Osttimors in die Unabhängigkeit, denn das Beispiel könnte Schule machen ·

in Aceh, in Irian Jaya und anderswo.

Der indonesische Präsident Jusuf Habibie kommt durch die Rolle des Militärs in Osttimor in eine unhaltbare Lage. Denn schließlich hatte er persönlich den Weg zur Volksabstimmung frei gemacht, bei der

vor einer Woche fast 80 Prozent der Osttimoresen für die Unabhängigkeit votierten. "Ich übernehme die Verantwortung", sagte Habibie am Montag, doch viele Beobachter in Jakarta haben Zweifel, was sein

Wort noch wert ist.

In weniger als zwei Monaten wählt Indonesiens "Beratende Volksversammlung", in der bisher die Armee den Ton angibt, einen neuen Präsidenten. Noch weiß niemand, wie sich das mächtige Militär in dieser

Kraftprobe verhält. Doch einige Indizien sprechen dafür, dass General Wiranto mit einer Präsidentin Megawati Sukarnoputri gut leben könnte. Die Oppositionsführerin, Tochter des Republik-Gründers

Ahmed Sukarno, hat zwar die Parlamentswahlen im Juni eindeutig gewonnen, doch sie gilt als politisch schwach. Megawati und Wiranto ziehen in Osttimor an einem Strang: Sie wollen die sogenannte

"27. Provinz" nicht gehen lassen. Für Habibie aber könnte das Desaster in Osttimor der politische Todesstoß sein.