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Industrie als Sorgenkind der EU

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

BIP-Anteil des verarbeitenden Gewerbes soll auf 20 Prozent wachsen.


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© Fischersports

Brüssel/Straßburg. Es ist ein Aufschwung unter Mühen - und das auch nur im Monatsvergleich. Dennoch ist es ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die europäische Wirtschaft langsam erholt. Die Industrieproduktion in der Eurozone ist nämlich im November des Vorjahres so deutlich gestiegen wie seit dreieinhalb Jahren nicht mehr. Im Vergleich zum Vormonat stellten die Unternehmen 1,8 Prozent mehr her; in der gesamten EU waren es 1,5 Prozent, gab das Statistikamt Eurostat bekannt. Das größte Plus verzeichnete dabei die Produktion von Investitionsgütern wie Maschinen und Fahrzeuge. Generell den kräftigsten Anstieg meldete Irland, während Litauen, Dänemark und Griechenland die größten Rückschläge zu verzeichnen hatten.

Dennoch gibt die Entwicklung der Industrie in den EU-Institutionen Anlass zu Sorge. Denn obwohl 80 Prozent der Innovationen, drei Viertel der Exporte und etliche Jobs direkt von der Industrie abhängen, ist deren Anteil am gemeinsamen europäischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) innerhalb von 15 Jahren auf 15 Prozent gesunken. Wie aus einem Bericht hervorgeht, den die EU-Kommission im Herbst des Vorjahres präsentierte, gab es auch 2013 insgesamt einen leichten Rückgang. Während der Wirtschafts- und Finanzkrise haben im industriellen Sektor fast vier Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verloren.

Dabei hätten einige Bereiche großes Potenzial, um ein "tragfähiges Wirtschaftswachstum" in Europa zu gewährleisten, meint etwa der Industriesprecher der ÖVP im EU-Parlament, Paul Rübig. Als Beispiel nennt er unter anderem die Automobilindustrie. An dieser würden immerhin - direkt und indirekt - an die zwölf Millionen Jobs hängen. Die Branche tätige mit rund 30 Milliarden Euro pro Jahr die höchsten privaten Investitionen in Forschung und Innovation.

Doch nicht nur dieser Zweig müsse gefördert werden, findet das EU-Abgeordnetenhaus. Am heutigen Mittwoch stimmt es in Straßburg über einen Bericht über "die Reindustrialisierung Europas zwecks der Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit" ab. Darin unterstützt es das Ziel der EU-Kommission, den BIP-Anteil der Industrie bis 2020 auf zwanzig Prozent zu steigern. Dafür sollte eine breit gefächerte Strategie entwickelt werden, die auch Politikfelder wie Wettbewerb, Energie, Umwelt oder Innovation berücksichtigt. Die finanziellen Instrumente dafür lassen sich im gemeinsamen Budget finden: In den Mitteln für die Förderung der Infrastruktur oder im Forschungsprogramm "Horizon 2020", für das in den kommenden sieben Jahren rund 80 Milliarden Euro vorgesehen sind.

Schnellere Firmengründung

Die europäische Industrie im Spiegel der Statistik.

Ihre Vorschläge zu dem Thema will die Kommission in einer Woche vorstellen. Doch von einem "Pakt für die Industrie", wie es noch im Herbst geheißen hat, ist in dem Entwurf nicht mehr die Rede. Stattdessen geht es nun um eine "industrielle Renaissance". Eine Debatte darüber hätte auch auf der Agenda eines Gipfeltreffens der EU-Staats- und Regierungschefs im Februar stehen sollen. Doch die Zusammenkunft ist abgesagt worden.

Allerdings finden sich auch im Kommissionspapier - wie im Bericht des EU-Parlaments - nur wenige konkrete Maßnahmen, wie die europäische Industrie gefördert werden könnte. Zu ihnen gehört etwa die Ankündigung einer Gesetzesinitiative, die es ermöglicht, ein Unternehmen innerhalb von drei Tagen zu gründen und die Kosten dafür auf hundert Euro zu beschränken. Derzeit dauert es im EU-Durchschnitt fünf Tage und kostet knapp 400 Euro.

Allgemeiner gehalten sind die Bereiche, die die Brüsseler Behörde als vorrangig gefördert sehen möchte. Sie umfassen die Entwicklung neuer Technologien, Effizienz bei Energie und Rohstoffen, den Ausbau von Netzen sowie des digitalen Binnenmarktes oder einen Anschub für CO2-arme Autos.

Mangel an Verbindlichkeit

All das scheint jedoch aus wirtschaftlicher Sicht nicht ausreichend. Was nämlich fehle, sei "die Verbindlichkeit der politischen Maßnahmen und deren Umsetzung", erklärt Gernot Haas, Leiter des Brüsseler Büros der Industriellenvereinigung (IV). Er ist nicht der einzige, der das Fehlen einer breit angelegten EU-Industriepolitik bedauert. Die Klagen über eine jahre-, wenn nicht jahrzehntelange Vernachlässigung des verarbeitenden Gewerbes sind zahlreich: Es mangle an Investitionen, hohe Energiekosten schmälern die Wettbewerbsfähigkeit, der Zugang zu Krediten sei schwieriger geworden, und die bürokratischen Hürden seien teils noch immer hoch.

Auch Haas zählt die Energiekosten, verbunden mit einem ineffizienten Fördersystem für erneuerbare Energien, zu den größten Problemen, die der Industrie zu schaffen machen. Europäische Unternehmen müssten im Vergleich zu Betrieben in den USA oder China das Doppelte bis Dreifache dafür zahlen. Das müsse bei künftigen Maßnahmen berücksichtigt werden.

Denn: "Ein gesunder und hoher Industrieanteil ist ein Garant des Wohlstands, und wir müssen uns um den Erhalt dieser Basis kümmern", sagt Haas. Dafür wäre es wichtig, politische Verantwortung zu übernehmen, etwa in Form eines Grundsatzabkommens. Zu diesem müssten dann die EU-Staats- und Regierungschefs stehen. Und auch die EU-Kommission ist gefragt: Dort müsste eine horizontale Strategie das Ressortdenken ablösen.