)
Es ist noch nicht so lange her, da wurde Deutschland als der kranke Mann Europas diagnostiziert. Heute präsentiert sich Deutschland - und abgeschwächt auch Österreich - als Wachstumslokomotive der EU. Die allgemein akzeptierte Begründung dafür ist das Faktum, dass die beiden Länder noch über eine starke industrielle Basis verfügen und dadurch die Chancen der rasch wachsenden Importnachfrage aus den neuen Industriestaaten Asiens voll nutzen können.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Nun stellt sich die Frage, wieso gerade die beiden Länder ihre industrielle Basis sichern konnten. Darauf gibt es mehrere Antworten. Die Hartwährungspolitik mit dem ständigen Druck auf Produktivitätsfortschritte ist eine. Eine andere ist die verantwortungsvolle Lohnpolitik der Sozialpartner, die der Sicherung bestehender Produktionsstandorte Priorität einräumte. Schließlich ist die kluge Internationalisierungspolitik der Industrieunternehmen zu nennen, wodurch neue, kompetitive Wertschöpfungsketten aus einem Mix an günstigen ausländischen Vorprodukten und hochwertigen nationalen Wertschöpfungskomponenten geschaffen wurden.
Die gegenwärtige industrielle Stärke von Deutschland, Österreich und der EU insgesamt ist aber mehrfach gefährdet. Übertriebene und daher kostspielige Klimaziele beschleunigen die Abwanderung von industriellen Produktionen aus Europa. Chinas Strategie der langfristigen Sicherung weltweiter Energie- und Rohstoffquellen hat Europa bisher wenig entgegenzusetzen. Auch für Währungskriege um niedrige Wechselkurse zur Stützung der Exportindustrien ist Europa schlecht gewappnet. Schließlich droht ein ernster Fachkräftemangel.
Umso erfreulicher sind Initiativen zur Sicherung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit Europas. Am 28. Oktober veröffentlichte die Europäische Kommission die Mitteilung "Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung", und wenige Tage später trat der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle mit einem industriepolitischen Konzept "Im Fokus: Industrieland Deutschland" an die Öffentlichkeit.
Themen wie Wechselkurse, Energie- und Rohstoffversorgungssicherheit und Klimapolitik müssen letztlich auf europäischer Ebene gelöst werden. Leider stehen einer gemeinsamen EU-Strategie nach wie vor nationale Sonderinteressen im Wege.
In Österreich steht eine zukunftsorientierte Industriepolitik nicht einmal auf der Prioritätenliste der politischen Agenda. Da beschäftigt man sich lieber mit Lehrerkompetenzen, Fällen unverständlicher Abschiebung und der heldenhaften Abwehr von Zugangsbeschränkungen zu den überfüllten Hochschulen.