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Industrie Punkt Null

Von Matthias Nagl

Wirtschaft

Die SAG Lend hat die Aluminiumproduktion eingestellt. Reportage aus einem schrumpfenden Industriestandort.


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Lend. Wer Ruhe sucht, hier würde er sie finden. Nur sucht sie hier keiner. In Lend herrscht zwei Tage, nachdem die Salzburger Aluminium Gruppe SAG das Ende für die Produktion ihrer Tochterfirma Aluminium Lend bekanntgegeben hat, Stille. Wobei, ganz ruhig ist es nicht.

Auf der Pinzgauer Landesstraße B311 rauschen hoch über Lend die Autos vorbei, ein einsamer Gabelstapler dreht zwischen Werksgelände und Ort, die nur schwer auseinanderzuhalten sind, seine Runden. Denn anders als vom Unternehmen bekanntgegeben wurde am Mittwoch nicht gleich die Produktion eingestellt, sondern lediglich der Insolvenzantrag eingebracht. Im Angesicht der Historie des Aluminium-Standortes Lend macht es aber auch keinen Unterschied, wie lange der Betrieb noch weiterläuft.

Das Ende ist nah, so viel steht fest. "Ein Sanierungsplan wird nicht angestrebt", heißt es in der Mitteilung des Kreditschutzverbandes. Die Schuldnergesellschaft sei mit einer sofortigen Schließung des Betriebs einverstanden. Die Hoffnung des Betriebsratschefs Reinhard Schwarzenberger auf einen Investor, der den Betrieb weiterführt, wird sich wohl nicht erfüllen. Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch", sagte Schwarzenberger noch am Mittwoch beinahe trotzig. Doch 83 Mitarbeiter werden ihren Job verlieren, etwa jeder Vierte ist über 50 Jahre alt. Etwa 40 davon waren direkt in der Produktion tätig. "Mindestens die Hälfte der 83 ist über zehn Jahre im Betrieb", sagt Schwarzenberger, darunter sind viele langjährige Mitarbeiter.

"Es wird versucht werden, möglichst vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern adäquate Jobangebote in anderen Gesellschaften des Konzerns zu machen", heißt es in der Mitteilung der SAG. Für wie viele das gilt, ist offen. In den anderen Teilen der Gruppe sind etwa 30 Leasing-Mitarbeiter beschäftigt, die nun von den Mitarbeitern der insolventen Gesellschaft verdrängt werden könnten.

Bürgermeisterin im Krisenmodus

"Für alle 83 ist ein Angebot sicher nicht realistisch", sagt Lends Bürgermeisterin Michaela Höfelsauer. Sie arbeitet, seit die Nachricht am Dienstag per E-Mail vom Vorstand kam, im Krisenmodus. "Das war ein Schock", erzählt sie. "Es reicht, wenn man mit einem Betroffenen spricht. Wenn der im Gespräch zusammenbricht und Existenzängste hat, ist das ganz schlimm. Der Ort ist wie gelähmt. Viele Betroffene schauen weg, zu denen kommt man gar nicht durch, da sieht man nicht hinein, wie es ihnen geht." Höfelsauer ist beruflich Leiterin des Seniorenheims in Lend. Dort war am Mittwoch, dem Tag der Konkurseröffnung, Weihnachtsfeier. "Viele haben bei der SAG gearbeitet. Für die ist es ein Wahnsinn", sagt sie.

Auch bei den 250 am Standort verbleibenden Mitarbeitern der übrigen Unternehmen der Gruppe ist die Verunsicherung jetzt groß, obwohl es keine Hinweise auf Probleme auch in den anderen Gruppen gibt. Der Umsatz hat sich von 2013 bis 2015 um 15 Prozent auf 260 Millionen Euro erhöht. Auch der Gewinn sei gestiegen, teilt das Unternehmen mit. Die positive Entwicklung geht allerdings ausschließlich auf den Konzernbereich zurück, der die Fahrzeugindustrie mit Aluminiumkomponenten beliefert.

Für Lend ist das Aus der Aluminiumproduktion, die zuletzt nur mehr Aluminium weiterverarbeitete, so oder so ein schwerer Schlag. Ein weiterer schwerer Schlag. "Lend ist die SAG und die SAG ist Lend", sagte Ex-Bürgermeister Peter Eder in dieser Zeitung einmal. Vor mehr als 100 Jahren, 1898 gründete die "Schweizerische Metallurgische Gesellschaft" den Alu-Standort als dritte europäische Aluminiumhütte. Die Entstehung des Ortes geht auf den Goldbergbau in den Hohen Tauern zurück.

Seine Hochblüte erlebte Lend erst durch die SAG. Aber auch diese Zeiten sind wieder vorbei. Bis in die 1950er Jahre stieg die Bevölkerung auf etwa 2300 Einwohner an, mittlerweile liegt sie bei 1355, wobei es 2016 erstmals seit sehr langer Zeit wieder einen Zuwachs von 23 Einwohnern gegeben hat. Für den ist aber der höherliegende Ortsteil Embach verantwortlich.

Lend, tief unten im Salzachtal, wo auch die SAG zuhause ist, wirkt heute schon wie ausgestorben. Nur das Schulgebäude, aus dessen Fenstern Lärm dringt, verbreitet etwas Leben. Sonst ist abgesehen vom Gabelstapler und einem spanischen Lkw, der wohl nicht mehr oft hierher kommen wird, kaum jemand unterwegs, die Straßen sind schon jetzt leer. Mehrere Häuser stehen leer, vor allem in der SAG-Werkssiedlung.

Das Ende für die Aluminium Lend ist für die Gemeinde auch finanziell ein schwerer Schlag. Das Schließen des Betriebs bedeutet weniger Kommunalsteuer für die Abgangsgemeinde. "Wir hätten das Geld gut gebrauchen können", sagt Ortschefin Höfelsauer.

Dennoch blickt auch sie lieber optimistisch in die Zukunft. "Am Dienstag habe ich mir einen kurzen Niederbruch erlaubt. Aber dann kann man nur sagen, es geht weiter. Wenn ich die ganze Zeit nur mehr hadere und die Abwandernden betrauere, dann vergesse ich vielleicht auf die, die noch da sind und gerne da sind", meint Höfelsauer. Mit solchen Situationen hat der Ort schließlich leidvolle Erfahrung. "Lend ist schon oft weit unten gewesen."

Der Niedergang eines traditionsreichen Standorts

Wie ist es nun so weit gekommen? Obwohl das plötzliche Aus für die Aluminiumproduktion für alle überraschend kam, hat es sich schon länger angekündigt. Es ist die Geschichte vom Niedergang eines traditionsreichen Industriestandortes. Eine Geschichte, wie sie in Österreich, aber auch in ganz Europa, mittlerweile schon oft erzählt wurde.

Vor zwei Jahren kündigten die Eigentümer an, die österreichischen Standorte würden letztmalig durch Gewinne der Auslandstöchter finanziert. Die Alu-Produktion kämpft aber seit der Weltwirtschaftskrise 2008. Seit damals hat die Eigentümerfamilie 13 Millionen Euro in die Tochterfirma gesteckt. Die SAG wurde 1992 von den Schweizer Eigentümern mittels eines Management-Buyouts um den späteren Vorstandsvorsitzenden und Präsidenten der Salzburger Industriellenvereinigung, Josef Wöhrer, übernommen und zu einem weltweit operierenden Konzern umgebaut.

Nach der Wirtschaftskrise ließ die Belegschaft schon zahlreiche Sparmaßnahmen über sich ergehen. Kurzarbeit, Aussetzungsverträge und vor drei Jahren einen vorübergehenden teilweisen Lohnverzicht. Geholfen hat das alles nur kurzfristig. Nun führten ein 30-prozentiger Anstieg des Aluminiumpreises, das Ausbleiben von Aufträgen und notwendige Investitionen zum Aus zehn Tage vor Weihnachten.