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Infektiologe zu Thrombosen: "Das macht nachdenklich"

Von Cathren Landsgesell

Wissen

AstraZeneca wäre ein Novum: Thrombosen und Blutungen sind im Zusammenhang mit Impfungen bislang unbekannt.


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Nachdem Dänemark sich in der letzten Woche entschlossen hatte, den Impfstoff von AstraZeneca eine Zeitlang auszusetzen, folgten einige andere Länder nach, zuerst Norwegen und Rumänien, nun auch Schweden, Frankreich, Irland, Italien, Spanien und Deutschland. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) ist weiterhin überzeugt vom Nutzen des Vakzins, eine Entscheidung über das weitere Vorgehen wird Donnerstag erwartet.

Nach Impfungen mit AstraZeneca war es zu verschiedenen Gerinnungsstörungen gekommen: In Österreich starb eine 49 Jahre alte Krankenschwester des Landesklinikums Zwettl vermutlich an einer Thrombose und zwei weitere Krankenschwestern erlitten eine Lungenembolie. In Deutschland traten Fälle von Hirnvenenthrombosen auf, aus Norwegen wurden Fälle von Blutgerinnseln berichtet und ebenso von Hautblutungen.

Bei Impfungen unbekannt

"Thrombosen oder Blutgerinnsel sind im Zusammenhang mit Impfungen nicht bekannt. In keiner vorliegenden Studie ist ein derartiger Zusammenhang aufgetreten. Auch in den Zulassungsstudien zu AstraZeneca nicht", erläutert Bernd Salzberger, Infektiologe am Universitätsklinikum Regensburg. Impfungen sind bislang nicht auf der Liste für die Ursache von Thrombosen oder von Blutungen.

Die häufigste Ursache von Thrombosen - man geht in etwa von einem Fall pro tausend Einwohner jährlich aus - ist Bewegungsmangel, Immobilität, so Albert Wölfler, Hämatologe der Medizinischen Universität Graz. "Beim Liegen ist der venöse Blutstrom verlangsamt und das Gerinnungsgeschehen auch. Man macht daher eine Blutverdünnung mit niedrigmolekularem Heparin. Weil man weiß, dass diese Immobilität ein Trigger für die Thrombose ist."

Auch langes Sitzen kann Thrombosen verursachen. Bei einer Thrombose bildet sich ein Blutgerinnsel in einem Blutgefäß, löst es sich und wandert etwa in die Lunge, kann eine Thrombose eine Embolie verursachen.

Für Thrombosen gibt es auch genetische Ursachen wie zum Beispiel die "Faktor-V-Leiden-Mutation". Das ist eine Veränderung an einem der Gerinnungsfaktoren. Etwa fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung haben diese Genmutation und damit ein erhöhtes Risiko für Thrombosen. "Besonders dann, wenn ein Triggerfaktor dazu kommt", wie Wölferl erläutert.

"Das Gerinnungssystem, insbesondere das Blutplättchensystem, ist ein vielfach reguliertes System und kann durch verschiedenste Mechanismen aus dem Gleichgewicht gebracht werden", so der Mediziner.

Die Vielzahl der Faktoren, die das System beeinflussen, erschwert in diesem Fall die Ursachenforschung und verweist sie auf die Analyse von Daten und auf die Statistik: "Das Problem bei den Thrombosen ist, dass diese so etwas wie ein Hintergrundrauschen sind und immer mal wieder in der Bevölkerung auftauchen, ohne dass immer eine klare Ursache zu finden ist. Von daher ist es schwer, eine Assoziation zu identifizieren. Diese wäre nur durch eine vermehrte Häufigkeit erkennbar. Ob diese vorliegt, ist im Moment noch offen", so Salzberger.

Rätselhafte Verminderung der Blutplättchen

Nicht nur bei AstraZeneca, sondern auch bei den Impfstoffen von BionTech Pfizer und Moderna waren auch Blutungsstörungen aufgetreten beziehungsweise wurde eine Verminderung bei der Anzahl der Blutplättchen beobachtet. Blutplättchen sind wesentlich für die Gerinnung. Bei einer Infektion mit einem Erreger werden viele dieser Thrombozyten im Knochenmark gebildet. Üblicherweise hat man 150.000 bis 400.000 dieser kernlosen Blutzellen in jedem Mikroliter Blut. Eine Verminderung der Blutplättchen kann ein Faktor für eine erhöhte Blutungsneigung sein. Kritisch wird es ab einem Wert unter 30.000. "Typisch sind punktförmige Hautblutungen, Schleimhautblutungen, man hat aber auch das Risiko, eine Hirnblutung zu erleiden", so Wölfler. Die Verminderung der Anzahl der Blutplättchen zeigt das Risiko an, es bedeutet aber nicht, dass es tatsächlich zu Blutungen kommt.

Die Ursachen sind auch da vielfältig: Es kann sein, dass von vorneherein, etwa aufgrund einer akuten Erkrankung des Knochenmarks, keine Blutplättchen gebildet werden können, oder, das ist eine der häufigsten Ursachen, dass sie zu schnell abgebaut werden, weil das Immunsystem Antikörper gegen diese entwickelt. Das ist dann eine sogenannte immunmediierte Blutplättchenverminderung. Die Blutplättchen werden durch das Immunsystem als fremd markiert und von der Milz aus dem Blut entfernt.

Diese Immunreaktion findet mitunter in Folge von Infektionen statt, wenn nach einem Schnupfen oder einer Erkältung "aufgeräumt" wird und dabei auch körpereigene Zellen mitgenommen werden. "Wenn wir eine Infektion durchmachen, wird ja nicht nur ein spezifischer Antikörper gegen einen Erreger gebildet, sondern gleich eine ganze Reihe von Antikörpern", sagt Wölfler.

Bernd Salzberger hält die vorläufige Aussetzung des Impfstoffs für richtig. Zugleich ist die Reaktion des Paul-Ehrlich-Instituts kein Hinweis für ihn, dass der Impfstoff mit den Gerinnungsstörungen zusammenhängt. Aufgrund der im Vergleich zur Realität vergleichsweise kleinen Gruppe der Geimpften in den Studien sei es zwar möglich, "eine ganz seltene Nebenwirkung zu verpassen. Aber es gab keinerlei Signal in diese Richtung. Insofern stimmt das nachdenklich und man muss sich das gut anschauen und auch prüfen, ob es sich zum Beispiel um ein Chargenproblem oder ein Qualitätsproblem handelt. Da muss man sich Zeit geben, um das gut zu beurteilen."