US-Schuldenstand steigt bis 2020 auf 140 Prozent der Wirtschaftsleistung. | Trügerische Ruhe dank Sonderstatus auf Finanzmärkten. | Washington. Europa hat ordentlich Vorsprung: Der Kontinent wird seit dem griechischen Budgetschock von Ende 2009 auf Trab gehalten. Der Euroraum scheint dabei, allen Unkenrufen zum Trotz, auf gutem Weg.
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"Die gelassene Reaktion der Märkte auf die Entscheidung Portugals, Hilfe in Anspruch zu nehmen, zeigt, dass die Eurozone kein großer Risikoherd mehr ist", sagt Markus Schuller von Panthera Solutions, einem in Monaco ansässigen Investmentberater. Der Euro habe zum Dollar sogar noch zugelegt.
Durch den Streit um das Budget in Washington kehrt sich der Blick nun auf die andere Seite des Atlantiks: Die Vereinigten Staaten haben nicht ansatzweise einen Plan, wie sie ihre ungebremste Schuldendynamik in den Griff bekommen. "Wie die Amerikaner 60 Milliarden Dollar im laufenden Budget einsparen, ist fast egal", sagt Schuller: "Es geht um ein Haushaltsloch von 1,65 Billionen Dollar." Allein im heurigen Jahr. Die Gesamtverschuldung ist mit 14,3 Billionen noch dramatischer. Was bisher kaum jemandem schlaflose Nächte bereitete. Die USA verließen sich auf einen komfortablen Sonderstatus: Sowohl ihre Staatsschulden ("Treasuries") als auch ihre Währung (US-Dollar) sind die dominanten Leithammel der globalen Finanzmärkte. Eine US-Staatspleite war und ist deshalb undenkbar.
Es begann mit Reagan
Das muss nicht so bleiben: Die staatliche Schuldenquote, derzeit knapp 100 Prozent der Wirtschaftsleistung, wird bis Ende des Jahrzehnts auf bis zu 140 Prozent ansteigen, ergaben Berechnungen des überparteilichen Budgetbüros im Kongress. "Die Sorge ist, dass das Polit-Patt bis 2012 anhält - und die Anleihenkäufer wegen der Unsicherheit höhere Zinsen verlangen", so Schuller. Steigende Zinsen auf US-Staatsanleihen ließen die Schulden abermals hochschnellen.
In einem Wahljahr wie 2012 ist es zudem unrealistisch, dass sich die Finanzlage verbessert. Selbst die US-dominierten Ratingagenturen warnen deshalb, die Bonität der USA, das Triple-A, gerate in Gefahr, wenn sich am Schuldenkurs nichts ändert.
Dabei hat die Misere eine lange Vorgeschichte. Nach der langwierigen Sanierung in der Nachkriegszeit begann die Schuldenexplosion unter Ronald Reagan: Der Republikaner ließ die Militärausgaben im Kalten Krieg steigen und verringerte mit Steuerkürzungen die Einnahmen - pures Gift für die Staatsfinanzen.
Unter Vater und Sohn Bush nahmen die Ausgaben erneut massiv zu - nicht zuletzt wegen der Waffengänge im Irak. Die Vergangenheit lehrt (Grafik), dass es bisher nie gelungen ist, den Schuldenberg abzutragen, wenn Regierung und Kongress von unterschiedlichen Parteien dominiert waren - ausgenommen die Ära Bill Clinton, wo dank der boomenden Konjunktur (moderate) Überschüsse erzielt wurden. Spätestens durch die Krise ist das obsolet: Die Bankenrettung und die Konjunkturprogramme gegen die Große Rezession waren Tropfen in einem übergelaufenen Fass.
Die großen langfristigen Schuldentreiber sind heute ebenso unstrittig wie heftig umstritten. Das US-Budget kennt vier zentrale Stellschrauben: das teure aber ineffiziente Gesundheitswesen, die Sozialversicherung, das Militärbudget und die Steuern, die weit hinter den Ausgaben zurückbleiben. Wenn in den nächsten Jahren 78 Millionen Babyboomer, die zwischen dem Krieg und 1964 zur Welt kamen, in Pension gehen, werden sich die Belastungen erneut vervielfachen.
Konjunktur wenig Hilfe
Von der Konjunktur sollte sich die US-Politik nicht allzu viel Rückenwind erwarten. Trotz vorgeblich guter Konjunkturdaten sieht Schuller noch keine substanzielle Erholung: So lässt nicht etwa eine steigende Beschäftigung die Arbeitslosenrate sinken - vielmehr suchen immer mehr arbeitslose US-Bürger gar keine Tätigkeit mehr und fallen so aus der Statistik.
Die Rate der US-Haushalte, die unter überschuldeten Immobilienkrediten leiden, liegt bei 23 Prozent und steigt weiter an - das bedeutet, dass aus dem Konsum, dem Dreh- und Angelpunkt der US-Wirtschaft, kaum Impulse zu erwarten sind. Die USA müssten dafür die hohen sozialen Ungleichgewichte bekämpfen.
Und obendrein sind die Vereinigten Staaten auch bei vielversprechenden Zukunftstechnologien schlecht aufgestellt, weiß Schuller: "Obama redet viel über Erneuerbare Energie, die Investitionen bleiben aber weit hinter den Erwartungen zurück. Zwei Milliarden Dollar sind bestenfalls Peanuts." Zuletzt sei noch das Forschungsprogramm für Windkraft drastisch gekürzt worden. Europa führe bei Biomasse, Wind und Sonnenenergie mit weitem Abstand, China holt stark auf - die USA spielen bisher keine Rolle.
China kann nur drohen
Für dringend nötige Infrastrukturinvestitionen oder gar Konjunkturstimuli fehlt Präsident Barack Obama aber der politische Rückhalt. Das Schuldenkarussell der Notenbank Fed, welche die Gelddrucker angeworfen und in zwei Runden US-Schuldtitel im Wert von fast 2,6 Billionen Dollar aufgekauft hat, ist keine Alternative: Darüber hätten sich primär die Banken gefreut, das Geld sei aber in der Realwirtschaft fast nicht angekommen. Schuller erwartet, dass sich die Notenbank und das Finanzministerium auf ein höheres Inflationsziel von drei bis vier Prozent einigen werden: "Dadurch geht die Welt nicht unter." Für die (großteils ohnehin verschuldeten) US-Konsumenten wäre es verkraftbar. Und es erleichtert den Schuldenabbau.
Wenig freuen dürfte das freilich die Investoren in Dollars und in Staatsanleihen: China, das US-Schuldtitel im Wert von 1,2 Billionen Dollar besitzt, hat sich mehrfach kritisch geäußert. Es wird bei Drohgebärden bleiben, ein Käuferstreik ist unrealistisch: "Solange der chinesische Renminbi keine Leitwährung ist, haben die Chinesen - so wie die anderen Überschussländer wie Japan oder Deutschland - keine Alternative zu US-Anleihen", sagt Schuller.