Mit der Teuerung steigen auch die Forderungen der Arbeitnehmer. | WKO winkt ab: Viele Unsicherheiten für die Konjunktur. | Wien. Die Wirtschaftslage ist besser als erwartet, der Arbeitsmarkt erstaunlich solide: Alles Argumente, welche die Gewerkschaften in eine starke Position bei den Lohnverhandlungen versetzen. Allerdings könnten aufgrund der hohen Inflation die Reallöhne pro Kopf 2011 in Österreich sinken, hat das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) jüngst prognostiziert.
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"Bis zur Stunde hat es keine Reallohnverluste gegeben - und ich glaube nicht, dass das Wifo unsere Abschlüsse der Frühjahrs- und Herbstrunde vorhersehen kann", widerspricht Karl Proyer, Vize-Bundesgeschäftsführer der Gewerkschaft GPA-djp: "Die Gewerkschaften werden sicher auf die gestiegene Inflation reagieren", betont der mächtige Verhandler im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Drohen besonders harte Auseinandersetzungen? Schließlich prognostiziert das Wifo für das laufende Jahr eine Teuerungsrate von 2,8 Prozent.
"Nicht die Zeche zahlen"
"Wir verhandeln nicht über Prognosen: Wir wollen die Geldentwertung der letzten 12 Monate abgegolten haben - plus einen Anteil an der Produktivität und dem Wirtschaftswachstum", sagt Proyer: "Das gilt für die Frühjahrsrunde generell."
Die Verhandler für 50.000 Beschäftigte der Elektro- und Elektronikindustrie konnten sich in der zweiten Runde am Dienstag jedenfalls noch nicht einigen. Das Angebot der Arbeitgeber - um 2,3 Prozent höhere Löhne und eine Einmalzahlung - war den Gewerkschaftern zu wenig. Zumal die Inflation für die abgelaufenen 12 Monate per Ende April zwischen 2,3 bis 2,5 Prozent liegen werde.
"Ich sehe keine Panik, dass sich die höhere Inflation nicht in den Abschlüssen wiederfinden wird. Die Beschäftigten werden sicher nicht die Zeche zahlen", sagt Proyer. Einen Vorboten für brisantere Verhandlungen sieht er darin aber nicht. In der Elektroindustrie wird am 15. April weiterverhandelt.
Zum Vergleich: Abschlüsse gab es in den letzten Monate etwa in der Textilindustrie (Ist-Löhne plus 2,1 bis 2,55 Prozent), in der E-Wirtschaft sowie in der Mineralölindustrie (Ist-Löhne jeweils plus 2,5 Prozent).
Potenzielle Dämpfer
Drohen härtere Lohnverhandlungen? In der Wirtschaftskammer winkt man ab: Heute könne noch niemand abschätzen, was bis Herbst passiert; die Unsicherheiten seien durch Libyen, Japan und die Eurokrise schlicht zu groß. Die Herbstlohnrunde - insbesondere der Abschluss der Metaller - gilt als Richtschnur für alle anderen Branchen. Bis dahin würden je nach Konjunkturlage die Abschlüsse der Branchen einmal höher oder tiefer ausfallen, sagt WKO-Sprecher Rupert Haberson.
Eine allenfalls in Nuancen veränderte Ausgangssituation ortet Wifo-Experte Thomas Leoni: "Die Erwartungen klaffen jedes Jahr auseinander."
Während Europas Gewerkschafter befürchten, dass die EU-Wirtschaftspolitik unter dem Titel der Wettbewerbsfähigkeit Druck auf die Löhne ausüben könnte, sieht Leoni darin in Österreich (und Deutschland) sogar ein Argument für höhere Abschlüsse: Schließlich sollen die Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone abgebaut werden. In Österreich hätten sich die Produktionspreise (Lohn-Stück-Kosten) über mehrere Jahre im Europa-Vergleich stark unterdurchschnittlich entwickelt. Und auch die Lohnquote (der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen) ist insbesondere seit den frühen 1990ern gesunken - mit Ausnahme just des Krisenjahres 2009, als es einen Ausreißer nach oben gab: Hier wirkten die hohen Abschlüsse von 2008 noch nach.
Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank, hatte allerdings schon Anfang März vor "Zweitrundeneffekten" gewarnt: Hohe Lohnforderungen als Ausgleich für starke Preissteigerungen könnten eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen - und die Inflation weiter treiben.