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Info-Service für den Ex-Diktator

Von Wolfgang Libal

Politik

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Als ein Albaner aus dem Kosovo kürzlich als Zeuge im Haager Prozess gegen Milosevic aussagte, er sei als Albaner aus seiner Funktion in der Kommunalverwaltung seines Heimatortes entfernt worden, erwiderte ihm der Angeklagte, seine Aussagen seien falsch. Erstens sei er nicht in der Kommunalverwaltung tätig gewesen, sondern in den Finanzdiensten. Zweitens sei er bei Erreichung der Altersgrenze ordnungsgemäß pensioniert worden, und drittens beziehe er seither uneingeschränkt seine Pension.

Mit ähnlichen Details wartete der jugoslawische Ex-Präsident auch gegenüber anderen Zeugen auf. So behauptete er gegenüber einem weiteren albanischen Zeugen, der beobachtet haben wollte, wie Leichen getöteter Zivilisten von der serbischen Polizei in eine Grube geworfen wurden: Das mit der Grube stimme wohl, nur seien dorthin nicht Leichen, sondern von der "Terror-Organisation UCK erbeutete Waffen" geworfen worden. Und eine Zeugenaussage über ein Massaker an Zivilisten konterte er mit der Behauptung, die serbische Polizei sei vom Dach eines Hauses im fraglichen Ort unter Feuer genommen worden. Nicht nur Prozess-Beobachter, sondern auch eine breitere Öffentlichkeit, auch in Serbien, fragten sich, woher Milosevic diese Details, gleichgültig ob richtig oder falsch, wisse und wie er in der Lage sei, sie so schnell und unmittelbar gegen Zeugenaussagen zu verwenden. Das interessierte auch die Medien in Belgrad, und aus ihren Recherchen und Veröffentlichungen ergibt sich folgendes Bild: Milosevic verfügt über ein Gremium, das in Belgrad seinen Sitz hat, rund um die Uhr arbeitet und von den Zeitungen als "Verteidigungs-Generalstab" bezeichnet wird. Es besteht aus Juristen, Funktionären der "Sozialistischen Partei Serbiens", der Partei Milosevics, und offensichtlich auch aus Angehörigen des Staatsapparates, die noch immer Anhänger des Angeklagten vor dem Haager Menschenrechts-Tribunal sind.

Milosevic hat die Anklageschrift mit den Namen der Zeugen sofort an den "Generalstab" weitergeleitet, und dieser hat Angaben über die Zeugen bei den serbischen zivilen, polizeilichen und militärischen Instanzen gesammelt, die zwischen 1991 und 1999 im Kosovo tätig waren. Es ist anzunehmen, dass die Funktionäre in diesen Dienststellen, als sie 1999 unter den Schlägen der NATO den Kosovo räumen mussten, ihre Archive und Dokumente, die sie eventuell hätten belasten können, nach Serbien mitgenommen haben.

Aber wie ist Milosevic in der Lage, so schnell auf die Aussagen mancher Zeugen zu reagieren? Er hat zwar auf Verteidiger vor dem Gericht verzichtet und erklärt, er könne sich selbst verteidigen, trotzdem hat er im Haag zwei "juristische Berater", Anwälte, mit denen er schnellstens in Kontakt treten kann. Denn er hat die Möglichkeit, sowohl aus dem Gefängnis als auch aus dem Gerichtsgebäude zu telefonieren. Von der zweiten Möglichkeit macht er sogar in den Verhandlungspausen Gebrauch, und er kann von dort auch mit dem "Verteidigungsstab" in Belgrad in Kontakt treten. Das Gericht hat dagegen noch keine Einwände erhoben. Es will sich offenbar nicht dem Vorwurf aussetzen, die Verteidigung des Angeklagten zu behindern.

Schnitt und Kontinuität

In der serbischen Öffentlichkeit, für die das Schicksal Milosevics schon nicht mehr das Hauptinteresse war, erzeugt die geschickte Verteidigung des einstigen Präsidenten der Bundesrepublik Jugoslawien eine neue Anteilnahme.

Sie verfolgt jetzt intensiver als in den ersten Prozesswochen das Geschehen in Den Haag. Zumal die Anklage ihre Zeugen nicht sorgfältig genug ausgewählt und auch nicht darauf vorbereitet hat, was sie bei der Konfrontation mit dem selbstbewussten Angeklagten zu erwarten haben.

Schließlich zeigt der Apparat, der Milosevic bei der Verteidigung gegen die Vorwürfe zur Verfügung steht, für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo verantwortlich zu sein, wie stark die administrativen, die polizeilichen und auch die militärischen Strukturen noch von Anhängern und Nutznießern des alten Herrschaftssystems durchsetzt sind.

Das hat sogar die jetzigen Machthaber zu der Erklärung veranlasst, sie hätten mit der Unterstützung der Verteidigung Milosevics nichts zu tun. Der Prozess gegen ihn sei keine Angelegenheit des Staates, sondern reine Privatsache des Angeklagten. Ob sie damit bei jenen Schichten Erfolg haben werden, die von vornherein in dem Prozess eine Verschwörung des Westens und vornehmlich Amerikas gegen Serbien sehen, und die Verteidigung Milosevics daher zu einer nationalen Pflicht machen möchten, bleibt allerdings dahingestellt.