ÖVP-Chef Sebastian Kurz forcierte schon 2013 das Ende des Amtsgeheimnisses. Als Kanzler bemühte er sich nicht darum. In einer Koalition mit den Grünen (und eventuell Neos) könnte der Druck für Informationsfreiheit zunehmen.
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Der Kampf gegen das verfassungsrechtliche Amtsgeheimnis in Österreich verläuft äußerst träge. Und wenn sich etwas bewegt, dann kann es sein, dass einen der kurze Erfolg am Ende mit leeren Händen dastehen lässt. Markus Hametner, Journalist und Mitbegründer des Forum Informationsfreiheit (FOI), wollte Zugang zu einem Dokument haben, das Einsparungsmaßnahmen der Stadt Wien enthält. Die Stadt verweigerte die Herausgabe. Hametner zog bis vor den Verwaltungsgerichtshof. Der gab ihm recht. Es bestehe ein öffentliches Interesse an den Daten. Die Stadt müsse sie aushändigen. Auch würden inhaltliche Auskünfte nicht mehr ausreichen und die Einsicht in Dokumente verwehrt werden können, wenn sie teils vertrauliche Daten beinhalten.
Es ist eines von zwei Urteilen aus dem vergangenen Jahr, das als wegweisende Schwächung des Amtsgeheimnisses beschrieben wurde. Doch was die Aktivisten bis heute nicht bekommen haben: die Dokumente der Stadt Wien, die sie wollten. Sie bekamen bloß Überschriften für die Einsparungsvorschläge. Der Kampf geht weiter. "Wenn man vor dem Höchstgericht recht bekommt, stellt das noch nicht sicher, dass die Behörde die Daten auch herausgibt", sagt Mathias Huter, ebenfalls FOI-Mitstreiter und ein Kollege Hametners.
Recht ähnlich behäbig wird das Amtsgeheimnis von der hiesigen Politik behandelt. Wann immer Bundesregierungen in der Vergangenheit prophezeiten, den bald 100-jährigen Passus zur Amtsverschwiegenheit aus der Verfassung zu streichen, wurde am Ende daraus - nichts. Schon 2014 waren sich SPÖ und ÖVP grundsätzlich einig. Doch das Gesetz enthielt aus Sicht von Kritikern so viele Hintertüren, womit es eigentlich nichts geändert hätte. Die Reform wurde letztendlich abgeblasen.
Die Ibiza-Affäre mischte nun auch in Sachen Amtsgeheimnis die Karten neu. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat dessen Ende, das er schon 2013 gefordert hatte, zumindest für sich wiederentdeckt. In der Koalition mit der FPÖ war das Amtsgeheimnis unter seiner Führung allerdings kein Thema mehr. Zum Ende des vergangenen Wahlkampfs forderte die ÖVP nun ein Informationsfreiheitsgesetz - wohlgemerkt an hundertster Stelle des türkisen 100-Punkte-Plans und ohne konkretes Konzept. Mehr wird angesichts der laufenden Sondierungsgespräche auch nicht verraten.
Dass ein mögliches Ende der Amtsverschwiegenheit die neue Regierung beschäftigen wird, scheint aber recht sicher. Bis auf die Freiheitlichen stimmten alle Parteien vier Tage vor der Nationalratswahl einem Fristsetzungsantrag der Neos zu, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, den Staat gläserner zu machen. Das Übergangskabinett von Kanzlerin Brigitte Bierlein wird sich dieser Reform wohl eher nicht annehmen. Das wird eine Aufgabe für Kurz und seinen neuen Koalitionspartner. Der Druck, diesmal wirklich Licht in die Amtsstuben zu bringen, könnte auch erheblich größer werden.
Ein langwierigerInstanzenweg
"Wenn Neos und/oder Grüne in Koalitionsverhandlungen gehen, ist die Erwartungshaltung da, dass Informationsfreiheit ein wichtiger Aspekt wird", sagt Huter. Beide Parteien hätten das Thema Transparenz im Wahlkampf de facto zu einer Koalitionsbedingung gemacht. Die ambitionierteren Anträge und Gesetzesvorschläge im Nationalrat seien in den vergangenen Jahren ebenfalls aus der grün-pinken Ecke gekommen.
Ein heikler Punkt bei den früheren Verhandlungen von SPÖ und ÖVP war der Einblick in die staatsnahen Betriebe. Damit hatten beide Parteien Probleme, da sie in diesen historisch tief verankert sind und diese aus ihrer Sicht mit liberaleren Transparenzregeln teilweise gegenüber der Privatwirtschaft schlechtergestellt wären. Dieser Punkt könnte durch die für eine Reform notwendige Zweidrittelmehrheit wieder relevant werden. Dafür wird es je nach Regierungskonstellation SPÖ, FPÖ oder Grüne brauchen - eine Zweidrittelkombination mit den Neos geht sich nur mit einer türkis-roten Regierung aus . Bei ÖVP und SPÖ bremsten die eigenen Leute in den staatsnahen Betrieben. Wobei die ÖVP diesen Punkt sogar kurz im Gesetz haben wollte, um Druck auf die rote Stadt Wien auszuüben. Den Grünen war es grundsätzlich wichtig, die staatsnahen Betriebe ins Gesetz zu schreiben, sie wären aber zu einem Kompromiss bereit gewesen, wenn das Gesetz zumindest den Kern der Verwaltung getroffen hätte. Die FPÖ sieht ein besonders liberales Informationsfreiheitsgesetz kritisch. Aus blauer Sicht biete die Auskunftspflicht Ämtern schon Spielraum. Aber da beginnt das Problem.
Die Frist der Auskunftspflicht befindet Huter für zu lange, um sie aktiv nutzen zu können. Derzeit dauert es acht Wochen, bis Antragssteller eine Antwort bekommen. Im Umfeld der Europäischen Union liegt die Frist bei 15 Tagen. Darüber biete das Gesetz kein klares Recht, dass Dokumente eingesehen oder übermittelt werden dürfen. "Von Behörden werden nur Auskünfte herausgegeben, in wenigen Sätzen formuliert", sagt Huter. "Da ist der Detailgrad viel geringer als bei einem Dokument." An sich wüssten Beamte durch die unklare Regelung oft nicht, was sie herausgeben dürfen und was nicht.
Geht man gegen das Vorhalten von Informationen gerichtlich vor, beginnt ein mehrjähriger Instanzenweg. Schon zu Beginn könne es bis zu einem Jahr dauern, bis die öffentliche Hand einen Bescheid ausstellt, gegen den eine Beschwerde eingelegt werden kann, sagt Huter. Dann sei es in der Regel so, dass Gerichte den Bescheid aufgrund von Begründungsmängeln aufheben würden und diesen an die Behörde zurückverweisen. "Die Behörde kann dann einen neuen Geheimhaltungsgrund formulieren, gegen den man wieder Einspruch erheben müsste." In vielen Fällen hätte man auch nach Jahren "keine klare Entscheidung in der Hand, welche Informationen veröffentlicht werden müssen", sagt Huter.
Österreich sei inzwischen das letzte EU-Land, das der Öffentlichkeit kein Recht einräumt, staatliche Dokumente einzusehen. "Selbst das Parlament und die Landtage dürfen vieles nicht wissen, was Regierungen und Verwaltungen beschließen", sagt Huter. Freilich erkenne das Forum Informationsfreiheit an, dass es Informationen gibt, die besser geheim bleiben, etwa wenn sie die nationale Sicherheit betreffen oder laufende Gerichtsverfahren. "Aber diese Gründe müssen eng definiert sein", sagt Huter. "Es muss in jedem Fall abgewogen werden, ob ein wirklicher Schaden entsteht und was größer ist: das öffentliche Interesse oder der drohende Schaden."
Das Hamburger Modellals ewiges Vorbild
Darüber hinaus plädiert Huter für eine Veröffentlichungspflicht, damit nicht alle Informationen angefragt werden müssen. "Es wird in vielen Ländern bereits vorgelebt, dass staatliche Auftragsvergaben und Verträge ab einem gewissen Wert veröffentlicht werden", sagt er. Das fordern auch die Grünen und Neos seit langem. Für mögliche Gerichtsverfahren sei es auch wichtig, dass es im Gesetz keine Kostenfallen gibt, so Huter, damit die Öffentlichkeit nicht davon abgehalten werde, ihr Recht zu nutzen. Eine zentrale Forderung der Aktivisten ist aber eine unabhängige Stelle, die Behörden und Bürgern zur Seite steht, sie berät und die Umsetzung des Gesetzes überwacht.
Dem letzten Punkt kann offenbar auch die ÖVP einiges abgewinnen. Ihr Generalsekretär Karl Nehammer nannte in einem "Standard"-Bericht vom 27. September Hamburg als Vorbild beim Informationsfreiheitsgesetz. Dort gibt es neben einer Veröffentlichungspflicht und einem zentralen Onlineregister, in dem Dokumente der Hamburger Verwaltung veröffentlicht werden, einen eigenen Informationsbeauftragten. Auf dieses Modell berief sich Kurz 2013 noch als Integrationsstaatssekretär. Auch Neos und Grüne nannten es bereits.
Dass beim Amtsgeheimnis etwas weitergehen kann, zeigt der zweite Fall Hametners aus 2018. Er wollte Beschlüsse der niederösterreichischen Landesregierung übermittelt bekommen, um den Förderungsbeschluss für die gemeinnützige Privatstiftung des ehemaligen Landeshauptmanns Erwin Pröll nachvollziehen zu können. Die Landesregierung weigerte sich, der Fall ging bis vor das Landesverwaltungsgericht. Aber diesmal bekam Hametner Dokumente. Zwar nicht alle, weil es da und dort Geheimhaltungsgründe gab. Aber dennoch. "Ein positiver Ausreißer", sagt Huter.