Es ist keine Liebesheirat. Ein mageres Ergebnis für Merkel bringt Union und SPD nichts als Personaldebatten.
Zweieinhalb Wochen hielt die Ruhe bei den deutschen Konservativen. Mit der Bestellung von Angela Merkels Kritiker Jens Spahn zum Gesundheitsminister und der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin machte Merkel deutlich, dass der Wunsch nach personeller und inhaltlicher Veränderung in der CDU bei ihr angekommen ist.
Umso schmerzlicher ist das Wahlergebnis für die Kanzlerin am Mittwoch. 364 Stimmen aus CDU, CSU und SPD sind weit weniger, als die drei Parteien auf sich vereinen, nämlich 399 Sitze. Lediglich ein Abgeordneter der konservativen Union fehlte bei der Abstimmung im Bundestag, somit haben stattliche 34 Mandatare von Schwarz und Rot Merkel die Gefolgschaft versagt.
CDU und SPD schoben einander die Schuld zu: Die neue Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) machte öffentlich Abweichler bei der SPD aus. Bei den Sozialdemokraten sei "die Lage sehr geschlossen" gewesen, sagte hingegen die Fraktionsvorsitzende und designierte Parteichefin Andrea Nahles. "Darum kann ich mich nur wundern." Aufgrund der geheimen Wahl sind die Abweichler nicht bekannt. Verkehrsminister Andreas Scheuer deutete jedoch an, dass diese auch aus den Reihen seiner CSU stammen; er verwies auf die langwierige Regierungsbildung, die Spuren hinterlassen habe.
Schwarz-Rot ist keine Liebesheirat, ebenso wenig wie 2005 bis 2009 und 2013 bis 2017 - allesamt unter Merkel. Sie geht nun zum dritten Mal ein Bündnis mit der SPD ein. In der Geschichte der Bundesrepublik vor ihrer Kanzlerschaft, also von 1949 bis 2005, gab es diese Konstellation lediglich ein Mal. Die beiden - mittlerweile stark geschrumpften - Volksparteien standen einander traditionell im Wettstreit gegenüber, sie saßen nicht nebeneinander auf der Regierungsbank. Doch die Zersplitterung des Bundestages von einst drei auf mittlerweile sechs Fraktionen und die Unfähigkeit, Mehrheiten abseits von Schwarz-Rot zu finden, haben die große Koalition vom Sonderfall zur Normalität gemacht.
Merkels Wahl als Blitzableiter für diese ungeliebte Tatsache zu benutzen, zeugt von Kurzsichtigkeit. Denn die Opposition, selbst über die Anzahl der Abweichler überrascht, wettere sogleich über die Zerrissenheit der Koalition und den Autoritätsverlust der Kanzlerin. Prompt tritt die Personalie Merkel in den Vordergrund, und nicht die inhaltliche Auseinandersetzung, die CDU, CSU und SPD trotz ihrer Koalition verstärkt im Bundestag austragen wollen und von der sie sich eine Profilschärfung für den nächsten Wahlkampf erhoffen.
Im Trubel um Merkel ging ein Satz des parlamentarischen SPD-Geschäftsführers, Carsten Schneider, unter. "Das Strucksche Gesetz gilt", twitterte er am Mittwoch in Anspielung auf die Aussage des einstigen Fraktionschefs Peter Struck, wonach kein Gesetz so aus dem Parlament herauskomme, wie es eingebracht worden sei. Das ist auch notwendig nach den bleiernen Diskussionsjahren im Bundestag von 2013 bis 2017, in denen die Koalitionspartner Union und SPD mehr als zwei Drittel der Mandate auf sich versammelt hatten.
Für Debatten sind auch Personen vom Typ Jens Spahn wichtig. Mag es ihm vor allem um die Pflege seines eigenen Images gehen und hat die Materie nichts mit der Zuständigkeit des Gesundheitsministers zu tun, so nimmt er mit seinem Beitrag über die Essensausgabe der Essener Tafel, um die Höhe der Arbeitslosen- und Sozialversicherung Hartz IV und Armut in einem der wohlhabendsten Staaten der Welt Themen auf, welche viele Bürger bewegen.
"Genau hinzuhören und hinzuschauen" in Sachen Gerechtigkeit, Flüchtlinge und Migration, Integration und Heimat, trug Präsident Frank-Walter Steinmeier der Regierung auf. Das alles vor dem Hintergrund der "wachsenden Polarisierung" in Deutschland. Nehmen sich Union und SPD das zu Herzen, bleibt der Erfolg der Populisten überschaubar.