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Nach dem gescheiterten Verfassungs-Vertrag (2004) übernimmt nunmehr der Vertrag von Lissabon (2007) die längst fällige Umgestaltung der EU.
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Am 1. Dezember 2009 trat der Vertrag von Lissabon, der bereits am 13. Dezember 2007 unterzeichnet worden war, definitiv in Kraft. Er bringt eine Fülle von Neuerungen in das bisherige Recht der EU auf der Basis des Vertrages von Nizza (2001).
Zunächst ändert der Vertrag von Lissabon durch seinen Artikel 1 den bisherigen EU-Vertrag in einer Reihe von Bestimmungen, benennt ihn aber nicht um, sodass dieser nach wie vor "Vertrag über die Europäische Union" (EUV) heißt. Durch Artikel 2 wird der bisherige EG-Vertrag zwar auch massiv geändert, zugleich aber in "Vertrag über die Arbeitsweise der EU" (AEUV) umbenannt.
Um die neuen Nummerierungen des EUV und des AEUV entsprechend nachvollziehen zu können, enthält der Vertrag von Lissabon in seinem Anhang zwei synoptische Übereinstimmungstabellen.
Nach der Umnummerierung besteht der EUV nunmehr aus 55 Artikeln und der AEUV aus 358 Artikeln. Der EAG-Vertrag, der nicht mehr zu den Grundlagen der neuen EU zählt, wird durch ein dem Lissabonner Vertrag beigefügtes EURATOM-Protokoll (Nummer 2) geändert. Dem dadurch bedingten Mangel an Transparenz wurde durch eine (nichtamtliche) Konsolidierung der geänderten Gründungsverträge begegnet, indem sowohl der EUV als auch der AEUV am 9. Mai 2008 - dem Europa-Tag - im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurden (ABl 2008, C 115/13, 47).
Rechtsnachfolge
Durch Artikel 1 des EUV gründen die 27 bisherigen EU-Mitgliedstaaten eine (neue) Europäische Union (EU), die an die Stelle der bisherigen Europäischen Gemeinschaft (EG) tritt, deren Rechtsnachfolgerin sie ist. Da die bisherige EU ja keine eigene Rechtspersönlichkeit hatte, folgt die neue EU konsequenterweise nur der bisherigen EG nach. Die vertraglichen Grundlagen dieser neuen durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen EU sind der EUV und der AEUV, sodass es erstmals im Völkerrecht dazu kommt, dass eine Internationale Organisation über zwei Gründungsverträge verfügt, die rechtlich gleichrangig sind.
Gemäß Artikel 47 EUV besitzt die neue Union völkerrechtliche Rechtspersönlichkeit. Durch diese Verleihung von Rechtspersönlichkeit an die neue EU einerseits und die Ersetzung der EG durch die EU andererseits wird die bisherige Säulenstruktur der EU aufgehoben.
Die intergouvernementalen Bereiche der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Zweite Säule) und der Polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Dritte Säule) werden zu Politikbereichen der neuen Union und damit Teil des einheitlichen Unionsrechts.
Diesem Unionsrecht kommt gemäß der Erklärung (Nr. 17) in der Schlussakte von Lissabon unmittelbare Wirkung und Anwendungsvorrang zu. Demnach sind alle Bestimmungen des nunmehrigen alleinigen Unionsrechts - das heißt auch die, die bisher intergouvernementales Recht der Zweiten und Dritten Säule waren - im Falle einer Kollision mit staatlichem Recht, immer dann, wenn sie unmittelbare Wirkung entfalten, bevorrangt anzuwenden.
Dieser Vorrang gilt auch gegenüber dem Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten und sogar im Verhältnis zu den Strukturprinzipien der Verfassung. Der Anwendungsvorrang gilt aber wohl auch für die "EU-Grundrechtecharta" (ABl 2007, C 303, S. 1 ff.), obwohl diese nicht Teil der Verträge ist und auf sie nur in Artikel 6 Absatz 1 EUV verwiesen wird. Sie ist aber mit den Verträgen rechtlich gleichrangig.