Der scheidende EU-Erweiterungs- und künftige Budgetkommissar Hahn über schwierige Gespräche in beiden Bereichen.
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"Wiener Zeitung": Österreich gehört zu einer Gruppe von Nettozahler-Staaten, die sich gegen eine Erhöhung ihrer Beiträge zum EU-Haushalt wehren. Als Budgetkommissar werden Sie schon bald mit den Verhandlungen zum nächsten siebenjährigen Finanzplan beginnen müssen. Wie möchten Sie Wien davon überzeugen, mehr Geld für die Union zur Verfügung zu stellen, wofür sich die Kommission ja ausspricht?
Johannes Hahn: Wir haben einen aktuellen Kommissionsentwurf, dem ich auch zugestimmt habe. Dieser sieht Ausgaben in der Höhe von 1,11 Prozent der EU-Wirtschaftskraft vor. Das liegt zwischen dem, was sich einige Nettozahler wünschen, und dem, was das EU-Parlament fordert. Diese Staaten möchten das Budget auf ein Prozent begrenzen, das Abgeordnetenhaus hätte gern 1,3 Prozent. Dann gibt es Länder, die die Position der Kommission begrüßen. Die Ansichten sind also unterschiedlich, und meine Aufgabe wird es sein, an einem Kompromiss zu arbeiten. Ebenso gilt es, die politischen Schwerpunkte der künftigen Kommission in den vorliegenden Budgetentwurf einzubauen. Das wird möglich sein, weil wir im Vorjahr noch keine detaillierten Vorgaben gemacht haben.
Da sehe ich schon die ersten Schwierigkeiten auftauchen: Einer der Schwerpunkte der neuen Kommission soll der sogenannte grüne Deal sein. Einige Länder wie Polen verlangen aber für ihre Energiewende ausreichend finanzielle Unterstützung.
Schon im jetzigen Kommissionsvorschlag steckt die Absicht, den Anteil der klimarelevanten Ausgaben von 20 auf 25 Prozent zu steigern. Der Agrarbereich beispielsweise soll 40 Prozent dazu beitragen, der Infrastrukturbereich 30 Prozent - also 30 Prozent der Förderungen sollen in klimarelevante Maßnahmen fließen. Die Infrastruktur-Fonds sind von bedeutender Größe: Sie machen knapp ein Drittel des Budgets aus. Hier haben wir einen Spielraum und können gemeinsam mit den Mitgliedstaaten darauf achten, dass die Projekte entsprechend ausgewählt werden.
Es soll noch eine andere Verknüpfung geben: die zwischen Geld und Rechtsstaat. So gibt es Pläne, Förderungen an die Erfüllung der Standards zu koppeln. Werden sie umgesetzt?
Es gibt eine große Übereinstimmung dazu, wenn auch noch keine hundertprozentige. Die Maßnahme soll nicht als Sanktions-, sondern als Schutzmechanismus für das EU-Budget verstanden werden. Schon jetzt haben wir die Möglichkeit einzuschreiten, wenn makrofinanzielle Defizite die korrekte Vergabe der EU-Mittel gefährden.
Korrekt oder nicht - da könnten die Osteuropäer auch auf die Südeuropäer verweisen...
Daher ist es wichtig, dass ab 2020 ein jährlicher Rechtsstaatsbericht über alle Mitgliedsländer erstellt wird. So soll erst gar nicht der Eindruck entstehen, dass es spezielle Kandidaten gibt, und andere kommen ungeschoren davon. Der Bericht wird eine wesentliche Grundlage zur Objektivierung der Beurteilung sein. Es geht um gesamteuropäische Standards, und wenn jemand gravierend davon abweicht und dies Konsequenzen für die Verwendung von EU-Geld hat, dann können wir reagieren.
Wenn wir schon von Rechtsstaatlichkeit sprechen: In der künftigen Kommission soll ein Ungar für die EU-Erweiterung zuständig sein. Sehen Sie ein Problem darin, dass der Vertreter eines Landes, in dem der Stand der Rechtsstaatlichkeit untersucht wird, auf Rechtsstaatlichkeit in den Kandidatenländern pochen muss?
Es ist nicht die Aufgabe Ungarns, sondern einer einzelnen Person, dieses Dossier zu führen. Der Kommissar ist noch dazu mehrfach gebunden: Zunächst wird seine Integrität vom EU-Parlament geprüft, danach hat er einen Eid auf den Lissabonner Vertrag abzulegen, wonach er unabhängig ist und keine Befehle von Dritten, also auch nicht von seinem Heimatland, entgegennehmen darf. Und letztlich sind alle Entscheidungen der Kommission Kollegialentscheidungen. Es sind also etliche Elemente eingebaut, die das gesamteuropäische Interesse bei der Ausübung eines Politikbereiches gewährleisten.
Kommende Woche soll über den Start von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien entschieden werden. Doch das niederländische Parlament möchte nun den Beginn der Gespräche mit Tirana blockieren. Was bedeutet das für die Kandidaten?
Bei Nordmazedonien bin ich sehr positiv, und ich hoffe auch, dass es für Albanien gelingt, grünes Licht zu bekommen. Es gibt von einzelnen Mitgliedstaaten mehr Kritik an der Situation in Albanien, wobei die Kommission für beide Beitrittsländer eine Empfehlung zum Start der Gespräche gegeben hat - auf Basis von Kriterien, die die Mitglieder selbst festgelegt haben. In Nordmazedonien fällt die Lösung des Namensstreits mit Griechenland positiv ins Gewicht, und in Albanien im negativen Sinn die innenpolitische Situation, samt dem Streit zwischen Regierung und Opposition.
Können Sie sich vorstellen, dass die zwei Länder unabhängig voneinander beurteilt werden - und nur eines davon EU-Verhandlungen beginnen darf?
Theoretisch ist das möglich und entspricht auch dem strategischen Ansatz der Beitrittsverhandlungen, dass die Kandidaten auf Basis der von ihnen gemachten, individuellen Fortschritte beurteilt werden. Aber es wäre natürlich im Sinne eines positiven Signals an die gesamte Region besser, wenn beide Länder gleichzeitig grünes Licht bekommen.
Könnte Nordmazedonien der Entwicklung in Albanien zum Opfer fallen? Frankreich soll noch immer skeptisch gegenüber Gesprächen sein - und die Niederlande haben ihre negative Haltung gerade bekräftigt.
Nordmazedonien darf auf keinen Fall zu Schaden kommen, nur weil einige Länder Probleme mit Albanien haben. Es könnte auch umgekehrt sein: dass Albanien von der positiven Entwicklung in Nordmazedonien profitiert und beide im Ausgangspunkt gleich bewertet werden. Schon vor einem Jahr haben sich 25 Mitgliedstaaten zustimmend geäußert, und drei waren kritisch. In der Zwischenzeit hat Deutschland einen positiven Bundestagsbeschluss gefällt, und ich hoffe, dass das auch in Frankreich und in den Niederlanden seine Wirkung entfaltet. Es ist dabei ebenfalls zu bedenken, dass die Verhandlungen ohnedies nicht sofort starten werden und dass der Prozess sich dann über Jahre erstreckt. Und währenddessen ist die Hebelwirkung, europäische Standards zu etablieren, am größten.
Erklären Sie das so in Frankreich und den Niederlanden? Gibt es da keinerlei Einsicht?
Bei den unmittelbaren Akteuren ist das Verständnis wohl da. Aber in manchen Ländern gibt es bei der Beschlussfassung viele Beteiligte. Und die Beurteilung eines Beitrittswerbers wird dann oft unter innenpolitischen Gesichtspunkten vorgenommen. Die geostrategische Lage steht dann nicht im Vordergrund. Da können zum Beispiel Fälle von organisierter Kriminalität oder Drogenschmuggel sehr vereinfachend und pauschalisierend mit Albanien und Albanern in Zusammenhang gebracht werden.
Sie haben vorhin von Signalen gesprochen. Ein fatales, aus Sicht der Südosteuropäer, hat der scheidende Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu Beginn seiner Amtszeit ausgesandt, als er deklarierte, in den kommenden Jahren werde es keine Erweiterungsrunde geben. Wie sieht es jetzt aus: Will die EU die Länder des Westbalkan aufnehmen oder nicht?
Beide Seiten sind gefordert, Ernsthaftigkeit an den Tag zu legen - sowohl die Union, also in erster Linie die Mitgliedstaaten, aber auch die Kandidaten. Der Kosovo zum Beispiel sagt mit Recht, er hätte alle Bedingungen für die Visaliberalisierung erfüllt. Er hat jedoch Jahre dazu gebraucht. Die Reisefreiheit kommt dann nicht am Tag darauf. Denn auch in der Union verstreicht zwischen der Erfüllung der Bedingungen und der Beurteilung durch die Mitglieder einige Zeit. Meiner Meinung nach ist nun allerdings in dem konkreten Fall genug Zeit verstrichen - und die Mitgliedstaaten sind am Zug.