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Innenpolitische Blockade in der Ukraine verschärft Konflikt ums Gas

Von Gerhard Lechner

Analysen

Der Bär knurrt wieder: "Dieser grinsende Russe dreht uns das Gas ab", formulierte unlängst die deutsche Bild-Zeitung neben dem Foto eines unübersehbar glücklichen Gazprom-Chefs Alexej Miller. Angesichts der immer dramatischer werdenden Gaskrise droht die EU nun auch der Ukraine, die Beziehungen "Punkt für Punkt" zu überdenken. | Der Fokus richtet sich vor allem auf die chaotischen innenpolitischen Zustände in dem prowestlich regierten Land. Selbst wohlmeinende Beobachter schütteln den Kopf über die Performance der handelnden Akteure: Während sich Premierministerin Julia Timoschenko in Moskau zu Verhandlungen mit Russlands Premier Wladimir Putin über die Krise trifft, organisiert ihr innenpolitischer Hauptrivale, Präsident Viktor Juschtschenko, in Kiew einen Gegengipfel. Er möchte sich nur auf neutralem Boden mit den Russen treffen. Dementsprechend düster klingen - nach einem jahrelangen Honeymoon - nunmehr die Warnungen Brüssels an Kiew.


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Einer der Gründe für die Selbstblockade der ukrainischen Politik liegt in den Verfassungsänderungen, die der Kandidat des orangen Lagers, Viktor Juschtschenko, im Dezember 2004 mit dem abtretenden Staatschef Leonid Kutschma ausgehandelt hat. Diese haben die präsidiale Macht zugunsten der Regierung geschwächt. Die Änderungen lassen freilich entscheidende Fragen ungeregelt. Nicht einmal über die simpelsten Rechtsgrundlagen besteht nun wirklich Klarheit.

Ergebnis des ukrainischen Kompetenzwirrwarrs sind endlose Kämpfe um die Macht. Diese werden durch die persönliche und politische Rivalität zwischen den Hauptakteuren Juschtschenko, Timoschenko und dem Russenfreund Viktor Janukowitsch noch verschärft. Im Frühjahr 2007 stritten Juschtschenko und der damalige Premier Janukowitsch bereits um die Loyalität der Streitkräfte und Polizeitruppen im Falle eines Konflikts. Vergangenen Herbst konnte man sich nicht einmal mehr auf einen Neuwahltermin verständigen.

Dass sich die Lager Juschtschenkos und Timoschenkos dennoch abermals auf eine Koalition geeinigt haben, lässt weniger auf einen Willen zur Zusammenarbeit schließen als auf machtpolitische Gründe: Für beide Kontrahenten käme eine Neuwahl zum schlechtestmöglichen Zeitpunkt.

Als besonders angeschlagen gilt der Präsident, der nur noch knapp zwei Prozent Zustimmung hat. Er setzt zunehmend auf die antirussische Karte, um sich für die angestrebte Wiederwahl gegen die "Verräterin" Timoschenko zu profilieren. In einem Land mit einem großen russischen Bevölkerungsanteil und einer eng mit Russland verwobenen Geschichte ist das freilich eine riskante Strategie.