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Innere Werte allein reichen nicht immer

Von Walter Hämmerle

Politik

Gutes Benehmen und seriöses Auftreten im Geschäfts- wie im Berufsleben sind wieder gefragt. Worauf es dabei ankommt, diskutierten im Rahmen des 6. Trialogs von "Wiener Zeitung", Management Club und GPK am Mittwoch die Benimm-Expertin und Buchautorin ("Knigge, Kleider, Karriere") Brigitte Nagiller und der Geschäftsführer von Puls TV Helmut Brandstätter unter der Moderation von Carrer-Herausgeber Markus Gruber.


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"Kommst du in Jeans, wirst du behandelt wie eine Jeans; kommst du im Anzug, wirst du behandelt wie ein Anzug." Nach der Stilwillkür der 68er-Generation und dem "anything goes" der New-Economy-Ära mit ihrer Garagen-Unternehmermentalität wird wieder Wert auf das äußere Erscheinungsbild gelegt.

Für Nagiller ist die Wiederentdeckung klassischer Benimmregeln im Berufs- wie im Privatleben keine Überraschung: "Jeder Trend dreht sich wieder in sein Gegenteil." Der zeitliche Zusammenfall dieser Entwicklung mit der Verknappung von Arbeitsplätzen und Investitionskapital dürfte dabei mehr als nur Zufall sein: Wenn Firmen die Qual der Wahl bei der Auswahl ihrer Mitarbeiter haben und Anleger und Investoren sich nach den Erfahrungen der New-Economy-Pleiten lieber dreimal überlegen, wem sie ihr kostbares Kapital anvertrauen, wird Seriosität endgültig wieder zum Trumpf.

Die Entscheidung darüber trifft in Ermangelung praktikabler Alternativen gemeinhin der erste Eindruck. Und der verlässt sich in aller Regel auf Äußerlichkeiten. "Sämtliche Studien sagen, dass drei Viertel der Wirkung auf das Äußere entfällt. Also versuchen wir, dieses weitgehend zu kontrollieren", erläutert Helmut Brandstätter. Diese Maxime hat mittlerweile die gesamte Geschäftswelt erfasst. Selbst die Medienbranche hat sich vom modischen Laissezfaire verabschiedet, bestätigt der Medienprofi. Bei der Auswahl seiner Mitarbeiter legt er besonderen Wert darauf, dass diese sich bewusst sind, dass sie mit ihrem Auftreten das Unternehmen repräsentieren.

Allerdings wird auch deutlich, wie weit mittlerweile die Bandbreite des Akzeptierten gespannt ist, wenn Brandstätter erklärt: "Die Krawatte ist nicht mehr Pflicht, aber sauber und ordentlich muss die Kleidung sein." Und, zumindest für den Job vor der TV-Kamera, nicht zu auffällig: "Moderatoren sollten auf keinen Fall zur Modepuppe werden. Sie dürfen durch ihr Äußeres nicht ablenken."

Damit wird klar: "Es gibt kaum mehr don'ts in Kleidungsfragen", so Brandstätter. Für ihn heißt das Schlagwort "Authentizität". Dem pflichtet auch Nagiller bei, wenn sie betont, dass mit dem Bedeutungsverlust strenger Formalismen im Auftreten das "Gesamtpaket Mensch" - Sprache, Benehmen, Kleidung - an Stellenwert gewinnt.

Authentizität, also das Übereinstimmen von äußerem Erscheinungsbild mit der Persönlichkeit, ist aber etwas, das nicht einfach von anderen übernommen oder von vornherein feststeht. Vielmehr muss es gesucht und erprobt werden.

In der Regel beginnt dieser Prozess bereits in der frühen Jugend. Wahrscheinlich ist es sogar tatsächlich so, dass der Kampf um die eigene Wahl der Kleidung der erste emanzipatorische Akt gegenüber den Eltern darstellt, wie Brandstätter glaubt. Wahrscheinlich findet sich in jeder Kindheit das Aufbegehren gegen das elterliche Modediktat. Angesichts des neuen Stellenwerts von Stil und Auftreten sollte dem daher mit Toleranz begegnet werden - im vitalen Eigeninteresse der Eltern. n