Die Realität liefert den Befürchtungen vor einer massenhaften Einwanderung von Rumänen und Bulgaren nach Großbritannien keine neue Nahrung.
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Sogar zwei Politiker hatten sich zum Londoner Flughafen bemüht. Gemeinsam mit einer Gruppe von Reportern warteten die britischen Parlamentarier am Neujahrstag auf Ankömmlinge aus Rumänien und Bulgarien. Vor deren Andrang hatten Boulevard-Medien schon seit Monaten gewarnt: Nach dem Auslaufen der Übergangsfristen auf dem Arbeitsmarkt zu Jahresanfang würden die jüngeren EU-Mitglieder massenweise nach Großbritannien ziehen, dort nach Jobs suchen oder durch den Erhalt von Sozialhilfen den Wohlfahrtsstaat überstrapazieren. Die Forderungen rumänischer und bulgarischer Diplomaten nach einem Ende der "Hetze gegen ihre Bürger" fanden da kaum Widerhall.
Doch auf dem Flughafen erwies sich das Warten auf die Massen als vergeblich. Die meisten der von den Reportern befragten rumänischen Passagiere kehrten schlicht nach den Weihnachts- und Silvesterfeierlichkeiten in ihre Arbeit zurück, die sie schon zuvor auf der Insel gehabt hatten.
Die aufgezeichneten Fernsehbilder übernahmen polnische Stationen. Nicht von ungefähr. Die Debatte um Migranten aus dem Osten ist nämlich in Polen nicht unbekannt - und sie hat mit dazu beigetragen, dass die Briten die Übergangsfristen für Rumänen und Bulgaren für die maximale Dauer von sieben Jahren nach dem EU-Beitritt der beiden Länder verhängt hatten. Denn nach der Aufnahme Polens und weiterer neun ost- und südosteuropäischer Staaten in die Union 2004 gehörte Großbritannien zu den wenigen älteren EU-Mitgliedern, die keine solchen Hürden auf dem Arbeitsmarkt errichteten. Die Regierung schätzte die Zahl der künftigen Einwanderer damals auf etwas mehr als 10.000 Menschen. Das wurde jedoch um ein Zigfaches übertroffen. Um eine solche Situation ein paar Jahre später zu vermeiden, setzte London bei der nächsten Erweiterungsrunde auf Einschränkungen.
Laut der Organisation Migration Watch, die kein Hehl aus ihrer Besorgnis über die steigenden Einwandererzahlen macht, haben sich diese seit 1997 in dreizehn Jahren verfünffacht. 2010 war ein Höhepunkt mit der Ankunft von einer Viertelmillion Menschen erreicht. Polen bildeten dabei mehr als die Hälfte der Jobsuchenden aus Osteuropa. Nun geht Migration Watch davon aus, dass sich jährlich rund 50.000 Rumänen und Bulgaren auf den Weg nach Großbritannien machen. Andere Schätzungen setzen die Zahl bei mehreren tausend an.
Dabei wird - nicht zuletzt in Rumänien und Bulgarien selbst - darauf verwiesen, dass die meisten Ausreisewilligen ihre Länder schon verlassen hatten. In Rumänien können es bis zu drei Millionen Menschen gewesen sein. Sie sind bereits nicht nur in Spanien und Italien tätig, sondern auch in Großbritannien und Deutschland, wo derzeit ebenfalls eine Diskussion über vermeintlichen Sozialmissbrauch geführt wird. Daher ist ein weiterer deutlicher Ansprung der Migrationszahlen kaum zu erwarten. Diese These hat sich schon vor zweieinhalb Jahren bestätigt, als etwa in Österreich und Deutschland die Arbeitsschranken für Polen, Slowaken, Tschechen und andere gefallen waren. Auch da blieb der Andrang aus.