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Inspiriert von der Prärie

Von Rudolf Stumberger

Reflexionen

Oak Park, Taliesin und Racine: Wer von Chicago aus durch Wisconsin fährt, findet unterwegs eine Reihe maßgeblicher Bauten des bekanntesten amerikanischen Architekten Frank Lloyd Wright.


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In Chicago mangelt es nicht an bemerkenswerter Architektur, deren Bauten sich an den urbanen Ufern des Chicago River in den Himmel strecken und so noch immer den konzeptionellen Gegenentwurf zum langgestreckten, eher geduckten und der Landschaft angepassten Prärie-Haus-Stil von Frank Lloyd Wright, dem berühmtesten Architekten Amerikas, bilden. Seine ehemaligen Wohnsitze in Oak Park und in Taliesin sowie seine Industriebauten in Racine bilden ein Dreieck an Architektur-Erfahrung, das sich auch innerhalb eines Kurzurlaubs erschließen lässt.

Oak Park, eine kleine Gemeinde, liegt gut 15 Kilometer westlich von Downtown Chicago. Mit der Hochbahn dauert die Fahrt eine halbe Stunde und sie führt quer durch manch eher heruntergekommenes Viertel, bis man den ruhigen Vorort mit seinen rund 50.000 Einwohnern erreicht. Inzwischen ist es mehr als einhundert Jahre her, dass diese örtliche Ruhe durch einen handfesten Skandal erschüttert wurde: als Frank Lloyd Wright seine Frau und seine sechs Kinder verließ, um mit seiner Geliebten zu leben.

Die Jahre zuvor verbrachte er mit der Familie in dem von ihm entworfenen Wohnhaus samt angeschlossenem Atelier, heute einer der touristischen Höhepunkte der Stadt. Eine Führung durch das Haus lässt erahnen, wie das Gebäude quasi "organisch" um seine Anbauten wuchs und Wright als architektonisches Experimentierfeld diente.

Flache Bauten

Um 1900 hatte sich der 1867 in Wisconsin geborene Wright mit seinem Prärie-Haus-Stil bereits in die Annalen der Architektur eingeschrieben: Flache Bauten mit offenen Kaminen als Mittelpunkt, der natürlichen Umgebung angepasst und mit ihr harmonierend, die Landschaft der Great Plains wiedergebend.

Im Kirchenbau des "Unity Temples" von 1907, ebenfalls in Oak Park errichtet, kann eines der Konstruktionsprinzipien Wrights besichtigt und erfahren werden, das sich als Gegensatz von Komprimierung und Dekomprimierung beschreiben lässt. Im Tempel sind die Gänge sehr niedrig gehalten, umso größer und befreiender wird dann der eigentliche, hohe Altarraum empfunden. Durch Oak Park mit seinen zahlreichen, von Wright entworfenen, im Inneren nicht zugänglichen privaten Wohnhäusern, werden Führungen angeboten.

Die zweite Heimstatt des amerikanischen Stararchitekten befindet sich 300 Autokilometer von Chicago entfernt im südlichen Wisconsin. Hier baute Wright für sich und seine neue Lebensgefährtin, Mamah Cheney, bei dem Örtchen Spring Green die Anlage "Taliesin". Heute ist sie ein Mekka für Architekturstudenten und Bewunderer des großen Meisters. Sommerschulen werden hier oftmals abgehalten.

Wer den Führungen folgt, erlebt ein seltsam improvisiertes Gebäude, das steter Renovierung bedarf. Statt Fenstern stoßen Glasscheiben ohne Fassung aufeinander; ein Schlafraum von Wright ist so niedrig, dass er kaum als angenehm empfunden werden kann; unter der Tür zum Garten klafft ein handbreiter Spalt. Taliesin war im Winter unbewohnbar: Den verbrachte Wright in "Taliesin West" im warmen Arizona.

Im Sommer aber entfaltete sich hier Wrights Genie im Kreise seiner Architekturstudenten ebenso wie sein Charme gegenüber den zahlreichen Verehrerinnen und sein Geiz gegenüber seinen Gläubigern.

Ort des Schreckens

Doch Taliesin ist auch ein Ort des Schreckens: Im August 1914 ließ ein Bediensteter das Haus in Flammen aufgehen und tötete sieben Menschen mit der Axt, darunter Mamah Cheney und ihre zwei Kinder. 1925 brannte das Anwesen erneut nieder, um danach zum zweiten Male von Frank Lloyd Wright wieder aufgebaut zu werden.

Er selbst lebte hier bis zu seinem Tode im Jahr 1959. Von Taliesin aus ist die Familienkapelle und daneben Wrights Grabstätte zu sehen. Angeblich soll der Architekt aber in Wahrheit in Arizona begraben sein.

Taliesin liegt in der Nähe von Madison, der Hauptstadt von Wisconsin, und auch dort lassen sich diverse private Wohnbauten von außen besichtigen, die auf dem Reißbrett von Frank Lloyd Wright entstanden sind.

Häuser mit Flügeln

Zum Beispiel das Gilmore-Haus von 1908, das mit seinen Flügelbauten einem Flugzeug ähnelt. Das Tourismusbüro von Madison bietet eine Liste der Häuser an. Nicht zu übersehen ist das Konferenzzentrum Monona-Terasse am Ufer des Monona-Sees, das nach einer mehr als 60-jährigen, innerstädtischen Debatte im Jahr 1997 endlich eröffnet wurde. Gebaut wurde es weitgehend nach den Plänen, die Wright 1938 begonnen und 1959 kurz vor seinem Tode noch einmal überarbeitet hatte.

Von Madison aus sind es rund zwei Stunden Fahrzeit zurück in Richtung Chicago, um nach Racine am Ufer des Großen Sees zu gelangen. Racine ist jene Stadt, in der Wright mit dem Firmengebäude für den Wachsfabrikanten S.C. Johnson in den 1930er Jahren ein markantes architektonisches Monument schuf. Das Verwaltungsgebäude mit seinen charakteristischen, pilzartigen, schlanken Dachstützen gilt als eine Ikone des modernen Industriebaus.

Wright entwarf auch die gesamte Inneneinrichtung, darunter den berühmten dreibeinigen Bürosessel, der zum Kippen neigt und durch einen vierten Fuß nachgebessert werden musste.

Industriemuseum

Während das Verwaltungsgebäude nach Anmeldung zu besichtigen ist, erfüllt der ebenfalls von Wright entworfene Research To-wer aus den 1950er Jahren heute keine Funktion mehr und ist nicht öffentlich zugänglich, da er nicht modernen Brandschutzbestimmungen entspricht.

Im Besucherzentrum der Firma wurde vergangenen Sommer ein neues Frank Lloyd Wright Museum eröffnet ("The SC Johnson Gallery: At Home with Frank Lloyd Wright"), das Möbelstücke, Entwürfe und Fotografien des großen Architekten mit der kleinen Statur zeigt.

Für den Unternehmer H.F. Johnson selbst entwarf Wright 1939 das Wohnhaus "Wingspread Residence" im Norden Racines. Der Prärie-Stil manifestiert sich hier unübersehbar in dem gewaltigen Kamin inmitten der mehrgeschossigen Wohnhalle, die immerhin vier offene Kamine auf verschiedenen Stockwerken in sich vereint. Die Villa dient heute als Kongresszentrum, kann aber besichtigt werden.

Zurück in Chicago, schließt sich der touristische Zirkel, der zugleich eine Reise durch die verschiedenen Schaffensperioden von Frank Lloyd Wright ist. Wie auch durch seine Ehen, Liebschaften und Krisen. Dazu empfiehlt sich als Reiselektüre der Frank- Lloyd-Wright-Roman "Die Frauen" des amerikanischen Schriftstellers T. C. Boyle.

Hinweise:T.C. Boyle: Die Frauen. Roman Aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum und Dirk van Gunsteren, Hanser Verlag, München 2009.Mehr über das Frank Lloyd Wright Museum in Racine unter http://scjohnson.com/en/company/architecture/scjohnson-gallery.aspxRudolf Stumberger, geboren 1956, arbeitet als Journalist und als freiberuflicher Dozent für Soziologie und Wirtschaft in München.