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Bis heute Mitternacht muss das Kabinett stehen - Lieberman springt in letzter Minute ab.
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Tel Aviv/Wien. Viel Zeit bleibt Benjamin Netanjahu nicht mehr, eine mehrheitsfähige Regierung zu bilden. Die 40-Tage-Frist läuft am Mittwoch um Mitternacht aus - bis zum späten Dienstagabend hatte der Likud-Chef noch nicht einmal die für eine Parlamentsmehrheit notwendigen 61 Mandate zusammen. Zwar konnte der designierte Ministerpräsident am späten Montagabend die ultrareligiöse Schas-Partei von Arie Deri ins Boot holen, die Siedlerpartei unterzeichnete auch bereits die Koalitionsvereinbarung. Dafür war Stunden zuvor Netanjahus bisheriger Außenminister Avigdor Lieberman abgesprungen. Dessen nationalistische Rechtsaußen-Partei Jisrael Beitenu will künftig die Oppositionsbank drücken. Das Zerwürfnis der beiden Parteiführer hatte sich trotz ideologischer Gemeinsamkeiten schon länger abgezeichnet. Liebermans Brüskierung kam für viele Israelis nicht überraschend.
Doch für Netanjahu hat sie weitgehende machtpolitische Konsequenzen. Der 66-Jährige muss trotz des beachtlichen Wahlergebnisses seines Likud künftig wohl mit einer instabilen Koalition vorliebnehmen - so sie überhaupt zustande kommt. Wenn in den kommenden Stunden keine tragfähige Kooperationsbasis gelingt, stehen in Israel knapp eineinhalb Monatennach der Knesset-Wahl erneut vorgezogene Wahlen an.
Bisherige Fixstarter für die künftige Koalitionsregierung unter Likud (30 Mandaten) sind neben Schas (7) die ebenfalls ultra-orthodoxe Partei Vereinigtes Torah-Judentum (6) sowie die im November 2014 gegründete sozial-konservative Kulanu-Partei von Moshe Kachlon (10 Mandate). Kachlon hatte 2012 dem Likud den Rücken gekehrt und bis dahin unter Premier Netanjahu als Sozialminister gedient. Nun versprach ihm Netanjahu den einflussreichen Posten des Finanzministers. Ein verlockendes Angebot, das er nicht ablehnen konnte.
Dennoch: Die vier Parteien können sich nur auf 53 von 120 Parlamentsabgeordneten stützen. Netanjahu braucht noch mindestens einen weiteren Bündnispartner. Arbeitspartei (Jitzchak Herzog) und Hatnua (Zipi Livni) haben ihre Teilnahme bereits abgesagt. Damit wurde die rechtsnationalistische Partei Jüdisches Heim(acht Mandate) zum Zünglein an der Waage. Von Netanjahu heftig umworben, verstand es Parteigründer Naftali Bennett, im bisherigen Kabinett für Wirtschaft und Religion verantwortlich, den Preis für ein Bündnis in die Höhe zu treiben. Bis zuletzt wurde deshalb um die Verteilung und Anzahl der Ministerposten sowie das Abstecken der Zuständigkeitsbereiche gefeilscht. Laut israelischen Medien soll Bennett das Wirtschaftsministerium gefordert haben, das schließlich aber an Schas-Chef Deri ging. Auch die Religionsagenden wandern zu seiner Partei der Siedler und ultraorthodoxer Ashkenazis.
Die meisten Beobachter rechneten daher mit einer Koalitionszusage Bennetts in letzter Minute.
Womit hingegen angesichts der knappen Knessetmehrheit kaum jemand rechnet, ist, dass Netanjahus Kabinett lange durchhalten wird. Zumal sowohl Bennettals auch Kachlon ein angespanntes Verhältnis zum Likudchef nachgesagt wird. Kachlon ließ bereits durchblicken, dass er mit einem frühzeitigen Auseinanderbrechen der Regierung spekuliert.
Auf Kosten der Säkularen
Sollte bis Mitternacht das neue Kabinett tatsächlich unter Dach und Fach sein, werde es eines der rechtslastigsten seit der israelischen Staatsgründung 1948 sein, schrieb die liberale Zeitung "Haaretz". Für den Nahost-Friedensprozess bedeute dies nichts Gutes. Doch auch mit dem säkular orientierten Lager in Israel sind Spannungen vorprogrammiert. So hat Netanjahu der Torah-Partei versichert, ein vor einem Jahr beschlossenes Gesetz wieder zu kippen, das auch orthodoxe Juden zum Militärdienst verpflichtet und Strafen bei Verweigerung vorsieht. Auch sonst setzten sich die Religiösen auf ganzer Linie durch. Jüdische Religionsschulen erhalten mehr Subventionen, die Leistungen für orthodoxen Familien werden erhöht. Um das Budgetdefizit trotzdem nicht ausufern zu lassen, müssen umgerechnet 3,4 Milliarden Euro an anderer Stelle eingespart werden. Und das, obwohl die Lebenskosten und Immobilienpreise in Israel massiv gestiegen sind.