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Instrument des Volkes?

Von Patrick Krammer

Politik
© StockAdobe / PixelPower

Volksbegehren boomen. Früher waren sie ein parteipolitisches Instrument. Seit einigen Jahren ändert sich das. Weshalb?


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Wer dachte, dass sich FPÖ und ÖVP in Niederösterreich mittlerweile arrangieren konnten, der dürfte sich geirrt haben. Die Spitzen der Freiheitlichen gegen die Partei von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) gehen weiter. Noch vor der Wahl initiierte der damalige Landesrat Gottfried Waldhäusl ein Volksbegehren, das sich für die sofortige Abschiebung straffällig gewordener Asylwerber ausspricht. Ab Montag liegt es gemeinsam mit acht weiteren Volksbegehren in allen österreichischen Gemeindeämtern und online zur Unterschrift auf.

Genauso wie die Bundespartei bewirbt auch FPÖ-Niederösterreich-Chef Udo Landbauer das Volksbegehren aktiv. Der ist zwar mittlerweile in einer Koalition mit der ÖVP, spart aber nicht mit Kritik: "ÖVP-Innenminister Karner produziert nur heiße Luft, liefert aber keine Lösungen", so Landbauer. Und weiter: "Es wird Zeit für eine Schubumkehr in der fatalen Asylpolitik." Der kritisierte Karner ist, genauso wie Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und Bundeskanzler Karl Nehammer, in der niederösterreichischen Volkspartei tief verwurzelt. Er führt zudem die Politik weiter, die auch Landbauers Koalitionspartnerin Mikl-Leitner als Innenministerin gefahren ist.

Das ist nicht das erste Mal, dass die FPÖ mit Volksbegehren arbeitet. Seit 1987 hat die FPÖ elf Volksbegehren initiiert, 2006 trat der neue FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache als Initiator des "Österreich bleib frei!"-Volksbegehrens auf.

Das Volksbegehren des mittlerweile zweiten Landtagspräsidenten Waldhäusls ist eine Art Aktionismus, immerhin war er zum Zeitpunkt des Antrags selbst für Asyl zuständig. Und auch jetzt kümmert sich die FPÖ in Niederösterreich um das Thema.

Parteipolitische Volksbegehren als lange FPÖ-Tradition

Selbst, wenn man die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Länder ins Spiel bringt, bleibt die Frage, wieso eine Partei, die im Nationalrat schneller und einfacher Gesetzesentwürfe einbringen kann, auf ein träges Instrument der demokratischen Bürgerbeteiligung setzt. Die Idee eines Volksbegehrens ist es ja, Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu geben, ein Anliegen auf die Agenda des Nationalrates zu setzen. Wenn 100.000 Unterschriften gesammelt werden konnten, muss sich der Nationalrat damit beschäftigen. Dabei hat ein Volksbegehren sogar Vorrang, damit Parteien unliebsame Themen nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung wegverschieben können. Es sei "nichts anderes als eine Petition, nur eben über staatliche Strukturen organisiert", erklärt Martin Dolezal, Politikwissenschafter an der Universität Graz und der Paris Lodron Universität Salzburg. Er sieht Volksbegehren auch als legitime Mobilisierungstools von Parteien. Aus einer rechtsstaatlichen Sicht haben Staatsbürger dieses Recht, auch wenn sie einer Partei angehören, meint Dolezal. Die Sinnhaftigkeit sei eine andere Diskussion.

Auf die Frage der "Wiener Zeitung", weshalb die FPÖ auf Volksbegehren setzt, ging diese nicht ein. Ein Sprecher erklärte, die Bevölkerung habe ein Recht mitzubestimmen, selbst wenn das "den anderen Parteien und Redaktionen nicht gefällt".

Auch früher war die parteipolitische Nutzung von Volksbegehren gang und gäbe. Bis zu einer Novelle 1998 hatten Landtage und der Nationalrat die Möglichkeit, selbst Volksbegehren einzureichen. Statt 10.000 Unterschriften reichte eine Handvoll Abgeordnete, die ungefähr 10.000 Bürgerinnen und Bürger in ihren Wahlkreisen vertreten. Die Grünen starteten so etwa das Gentechnik-Volksbegehren, das von 1,2 Millionen Menschen unterschrieben wurde. Rund die Hälfte aller Volksbegehren zwischen 1964 und 1998 kamen durch Abgeordnete von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grünen zustande.

Das Werkzeug war aber vor allem bei der FPÖ beliebt. Insgesamt sechs Volksbegehren riefen die Blauen ins Leben, darunter das Ausländer-Volksbegehren "Österreich zuerst". Politisch habe dieses Volksbegehren für die meisten Konflikte gesorgt, darunter die Abspaltung des Liberalen Forums, so der Politikwissenschafter. Rot-Schwarz setzte daraufhin eine Gesetzesverschärfung durch: Mandatare war es dann nicht mehr möglich, selbst Volksbegehren auf Schiene zu bringen. "Das war de facto eine Reaktion auf die Mobilisierungsbemühungen der FPÖ", sagt Dolezal.

Mit einer weiteren Novelle 2018 wurde die Sammlung der Unterstützungserklärungen wieder erleichtert. Damit ging die Zahl der Volksbegehren regelrecht durch die Decke. Von den 89 Volksbegehren der Zweiten Republik sind 50 nach 2018 gekommen. "Das war so wahrscheinlich nicht geplant", meint Dolezal dazu. Er macht den Anstieg an den erleichterten Wegen fest, mit denen Begehren in der Einführungsphase unterstützt werden können.

(Kein) Geschäftsmodell Volksbegehren

Es könnte auch einen weiteren Grund geben: Wenn Volksbegehren zumindest 100.000 Unterschriften erhalten, bekommen die Initiatoren das Fünffache der Gebühren, derzeit 3.421,50 Euro, rückerstattet. Das sind rund 17.000 Euro. Ein Geschäftsmodell in Zeiten sozialer Medien, in denen man billig viele Menschen erreichen kann? "Uns kränkt der Vorwurf", sagt Werner Bolek, Mitglied des Vereins "Initiative Gemeinsam Entscheiden" (IGE). Wer sich die Volksbegehren der vergangenen Jahre genauer ansieht, stößt immer wieder auf die gleichen Namen, die manchmal gemeinsam, manchmal getrennt voneinander auftreten. Einmal ist der eine Bevollmächtigter, dann wieder der andere. Es gibt ein regelrechtes Netzwerk von Personen, die die unterschiedlichsten Volksbegehren ins Leben rufen. Dazu gehört auch der Verein IGE.

Elf der fünfzig Volksbegehren kamen von diesem Verein, zwei davon liegen ab 19. Juni auf. Die Themen umfassten bisher das Rauchverbot, GIS-Gebühren, Neutralität, Impfpflicht und Bargeld. Oft gibt es zwei Volksbegehren zu einem Thema. Pro und Contra. Nur zwei schafften die 100.000-Unterschriften-Hürde nicht, die Rückerstattung liegt bei rund 100.000 Euro. Als Finanzierungsmodell will Bolek sein Handeln aber nicht verstanden wissen, es geht um die Bewerbung der direkten Demokratie. "Volksbegehren sind eine tolle Sache", sie seien der einzige Weg für Bürgerinnen und Bürger, ihre Wünsche abseits von Wahlen zu äußern. Man müsse die Volksbegehren ja auch bewerben, so Bolek. Aussendungen, Flyer, Pressekonferenzen. Viel bleibe da nicht übrig. Bolek fordert selbst, dass künftig nur tatsächliche Kosten rückerstattet werden. Damit gäbe es den Vorwurf nicht mehr, mit dem IGE häufig konfrontiert werde.

Auch Robert Marschall ruft gerne Volksbegehren ins Leben. Sieben, um genau zu sein. Zuletzt eines für den Rücktritt von Bundeskanzler Karl Nehammer. Wer meine, man könne damit ein Geschäft machen, möge es doch versuchen, so Marschall zur "Wiener Zeitung".

Vielleicht passiert das auch gerade: Auf der Webseite des Innenministeriums sind derzeit 91 Initiativen aufgelistet, die selbst gerne zum Volksbegehren werden wollen. Wenn sie 9.000 Unterschriften sammeln, gelingt es ihnen. An 90. Stelle der langen Liste findet sich die Initiative "Stoppt die Volksbegehren-Bereicherung!". Es spricht sich gegen "unsinnige, oftmals nicht umzusetzende Forderungen" aus. Volksbegehren sollten, geht es nach den Initiatoren, wieder zum sinnvollen Instrument der direkten Demokratie werden.

Doch nicht jede Initiative wird vom Innenministerium zugelassen. Dem Antrag des Volksbegehrens "Sinnloses Volksbegehren" wurde zum Beispiel nicht stattgegeben.

1969 wurde das Volksbegehren zur Einführung der 40-Stunden-Woche knapp 890.000 Mal unterschrieben.

Das Volksbegehren "Pro Zwentendorf" bekam 1980 fast dreimal so viele Stimmen wie die Initiative gegen Zwentendorf.