Keine Nadeln, kein Schmerz, nur ein paar tiefe, ruhige Atemzüge: So könnte die Diabetes-Therapie von morgen aussehen. "In Zukunft werden Zuckerkranke Insulin inhalieren können", sagt der Direktor des Deutschen Diabetes-Forschungsinstituts in Düsseldorf, Michael Scherbaum, im Vorfeld des Weltdiabetestages am 14. November (Donnerstag). Das Insulin-Spray, das große Pharmafirmen derzeit in klinischen Studien testen, werde die Diabetes-Behandlung grundlegend verändern.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
"Vier bis sechs Mal pro Tag Insulin einzuatmen statt zu spritzen, das könnte eine große Hilfe sein", sagt die Diabetes-Patientin Waltraud Wiegand-Glebinski. Mit der Therapieform werde sich vor allem die Einstellung von Patienten zu ihrer Krankheit ändern. Dadurch könnten sich viele vor Folgeschäden wie Augen- oder Nierenleiden bewahren.
Markteinführung in vier Jahren angestrebt
Bis Patienten auf Insulin-Spritzen verzichten können, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen. "Wir streben die Markteinführung innerhalb von vier Jahren an", sagt Markus Leyck Dieken. Er ist Medizinischer Direktor in der Mainzer Niederlassung des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk. Die Wissenschaft wäre damit endlich an einem Ziel angelangt, von dem Forscher schon bei der Entdeckung des Blutzucker regulierenden Hormons vor rund 80 Jahren träumten.
Warum die Entwicklung so lange dauerte, erklärt Lutz Hellwig, Manager bei Aventis Pharma Deutschland: "Die Kunst besteht darin, Insulin in der richtigen Form in die Lunge zu bringen. Die Insulin- Partikel müssen die richtige Größe haben und ausreichend stabil sein." Die Entwicklung eines geeigneten Inhalations-Apparates war ebenfalls schwierig.
"Das Insulin-Spray ist nicht zu vergleichen mit Asthma-Mitteln, die in den Bronchien wirken", erläutert Leyck Dieken. "Das Insulin muss bis in die hintersten, feinen Lungenbläschen vordringen." Dafür müssten Patienten auf eine ganz bestimmte Weise Luft holen. Ein kleiner Computer sorgt dafür, dass der Körper nur die benötigte Menge bekommt.
"Wie die Lunge langfristig auf das Insulin reagiert, steht im Mittelpunkt der derzeitigen klinischen Studien", sagt Bernd Kuglin. Er ist Geschäftsführer des Profil Instituts für Stoffwechselforschung in Neuss, das im Auftrag der pharmazeutischen Industrie die neue Methode testet. Die Wissenschaftler wollen klären, wie sich die Insulinaufnahme bei Rauchern verändert oder auch bei Erkältungen und chronischen Lungenerkrankungen.
Höhere Dosierung macht
Behandlung teurer
"Von inhalativem Insulin muss eine zehn Mal höhere Dosis gegeben werden", sagt der Mediziner Scherbaum. Ein Großteil des Hormons gelangt nicht ins Blut, sondern bleibt in der Lunge hängen. "Es ist zu befürchten, dass das Insulin dort zu Tumorbildung führen könnte", sagt Scherbaum. Mit Langzeit-Studien müssten die Forscher die Unschädlichkeit der neuen Therapie beweisen. Ob eingeatmetes Insulin tatsächlich nach der Zulassung breite Verwendung finden wird, hängt auch von weiteren Faktoren ab. "Durch die höhere Dosis wird die Behandlung auch nennenswert teurer", sagt Michael Nauck vom Diabetes- Zentrum Bad Lauterberg.
Eigenverantwortung bleibt
Insulin zum Einatmen wird die Diabetes-Behandlung zwar bequem, aber nie ganz schmerzfrei machen. Patienten werden nicht umhin kommen, sich zum Blutzuckermessen in den Finger zu stechen. Dauerhafter Erfolg einer Diabetes-Therapie hängt nach Überzeugung des Diabetikerbundes ohnehin von etwas anderem ab. Wiegand-Glebinski mahnt: "Ob spritzen oder inhalieren - Eigenverantwortung zu üben ist das A und O." (Internet: http://www.diabetikerbund.de/)