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Brigitte Gschwendtner und Claudia Hexel, Lehrerinnen in der Volksschule Eslarngasse in Wien, sind sich einig: "Die Arbeit kostet zwar manchmal viel Kraft, aber wir bekommen auch sehr viel zurück."- Die "Wiener Zeitung" zu Besuch in einer Integrationsklasse mit vier behinderten Kindern.
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Wenn ein Kind dem Volksschulunterricht alleine ohne zusätzliche Unterstützung nicht mehr Folge leisten kann, hat es das Recht auf eine sonderpädagogische Förderung. Was sich hier nach trockenem Gesetzestext anhört, wird im Fall der 4a der Volksschule Eslarngasse im dritten Wiener Gemeindebezirk folgendermaßen lebendig: Zwei Lehrerinnen integrieren zwei Kinder mit Down-Syndrom, ein Kind mit Entwicklungsverzögerung und ein Kind mit Lernbehinderung in ihren offenen Unterricht.
Schwerpunkt Montessori
Offener Unterricht bedeutet in diesem Fall, dass die Lehrerinnen sich nach den Methoden der Montessori-Pädagogik richten, in deren Mittelpunkt Freiarbeit und Selbständigkeit stehen. So werden vor den Ferien die Kinder befragt, für welche Themen sie sich am brennendsten interessieren, um sie im kommenden Schuljahr durchzunehmen. Die Lehrerinnen versuchen aus der sich ergebenden Liste alle genannten Gebiete abzudecken und bilden daraus die Wochenschwerpunkte fürs nächste Jahr, wobei die Interessen vom alten Ägypten über den menschlichen Körper bis zu Harry Potter breit gefächert sind. Der für die jeweilige Schulstufe vorgeschriebene Lehrplan wird dabei natürlich nicht unter den Tisch gekehrt, müsste er aber auch gar nicht, denn "die Kinder wünschen sich sowieso meistens genau das, was sie laut Lehrplan lernen sollten", so Hexel.
Aufbereitet werden die Themen in der Weise, dass sich die Kinder alleine damit auseinander setzen. Schulbücher und -materialien liegen zur freien Entnahme auf den Regalen, es werden laufend Gruppen gebildet, die Pausen werden so eingeteilt, wie es gerade passt, die Lehrerinnen versuchen mehr zu unterstützen als zu unterrichten. Nur sehr selten wird "herkömmlicher" Frontalunterricht praktiziert, die individuelle Betreuung steht im Mittelpunkt. Diese kommt vor allem den integrierten Kindern zu Gute, die "nicht so frei wie die anderen Kinder arbeiten können", erklärt Hexel. "Von einem Kind mit Down-Syndrom oder mit Lernbehinderung muss ich von anderen Konzentrationsspannen ausgehen." Hier zeigt sich aber der Vorteil einer Integrationsklasse mit zwei Lehrerinnen. Hexel: "Während sich die Kollegin um den Rest der Klasse kümmert, kann ich mich mit einem der integrierten Kinder beschäftigen, damit es auf seine Unterrichtseinheit kommt."
"Keine Nachteile erkennbar"
Generell sind für Hexel in einer Integrationsklasse "keine Nachteile erkennbar". Im Gegenteil: "Alle Kinder haben mehr davon." Hexel weiter: "Egoismen sind in unserer Gesellschaft am absteigenden Ast. Sozialkompetenzen sind mehr und mehr gefragt. Die Kinder einer Integrationsklasse eignen sich diese von alleine an." Eine These, die von den Eltern gestützt wird. Hexel weiß von "drei Kindern, die quasi zufällig bei uns sind, alle anderen Eltern wollten, dass ihre Kinder eine Integrationsklasse mit Montessori-Schwerpunkt besuchen". Eine "gute Entscheidung", ist sich Hexel sicher, da "die Kinder lernen, sehr respektvoll miteinander umzugehen". So hat Hexel bis dato "noch nicht erlebt, dass jemand rücksichtslos gewesen wäre", gibt aber zu, "dass es nach der Volksschule sicherlich schwieriger wird, wenn die Kinder in die Pubertät kommen."
Nach der Volksschule
Nach Abschluss der Volksschule, wobei die zwei Kinder mit Lernbehinderung beziehungsweise mit Entwicklungsverzögerung nach dem Lehrplan der allgemeinen Sonderschulen benotet, die Kinder mit Down-Syndrom verbal in einem an sie gerichteten Brief beurteilt werden, stellt sich die Frage, wie es mit ihrer Ausbildung weitergeht. Die Entscheidung dafür fällt in einem gemeinsamen Gespräch zwischen Volksschullehrern, Eltern und der Leitung des zuständigen Sonderpädagogischen Zentrums. Dazu Hexel: "In der Volksschule hat das Kind gelernt, wie das Leben läuft, es hat kein Problem mehr, sich auf die Straße zu trauen, auch wenn manche Leute komisch schauen. Aber ab jetzt braucht es andere Formen des Lernens, wie Kochen, Bügeln, eben Verrichtungen des täglichen Lebens. Wir entscheiden gemeinsam, wo es diese am besten lernen kann."