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Zuwanderer sind in den höchsten und den niedrigsten Schichten vertreten. Sie sind alles andere als die homogene Masse, als die sie gerne dargestellt werden.
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Menschen sehen, was auffällt, und negieren, was der Normalität entspricht. Die Medien unterstützen diese Selektivität. Passanteninterviews in Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil, dazu typische Fotos kopftuchtragender Mütter mit Kinderwagen, und schon hat man vermeintlich objektiv berichterstattet. Dazu kommen die Penetranz eines Wiener Wahlkampfes, ein Überschwappen der Debatte um Thilo Sarrazin, und schnell ist man bei der angeblich misslungenen Integration angelangt. Die Differenzierung wird aufgehoben und aus Einzelbeobachtungen sehr rasch ein uniformes Bild gezeichnet.
Keine Frage, es gibt ernsthafte Integrationsaufgaben im Bildungsbereich zu lösen, auch sind niedrige Erwerbsquoten bei zugewanderten Frauen, ihre frühe Verheiratung und der Rückzug in die Familie zu thematisieren und Konflikte des täglichen Lebens im unmittelbaren Wohnbereich nicht einfach wegzuwischen. Aber dabei sind Differenzierungen nötig und Quantitäten zu beachten.
In Wien leben mehr Ausländer, als Graz Einwohner hat, und mehr Menschen mit Migrationshintergrund als Einwohner in Kärnten oder Salzburg. Ein Drittel der Zugewanderten in Wien stammt aus der EU, ein knappes Drittel aus Ex-Jugoslawien, einen türkischen Migrationshintergrund weisen 13 Prozent auf - ein Wert, den wohl jeder überschätzen würde.
Zuwanderer sind in den höchsten und niedrigsten Bildungsschichten überproportional vertreten, sie nehmen führende Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft ein und sind ebenso im unteren Arbeitsmarktbereich angesiedelt, sie bewohnen überdurchschnittlich große Wohnungen in bester Lage oder müssen mit beengten Verhältnissen im Gründerzeitviertel zurechtkommen. Menschen mit Migrationshintergrund sind alles andere als die homogene Masse, als die sie gerne dargestellt werden.
Unabhängig von der Differenzierung zeigt sich auch, dass die überwiegende Mehrheit der Zugewanderten sich als ein Teil der Stadtgesellschaft fühlt. Das "Statistische Jahrbuch Migration und Integration 2010" (erstellt von der Statistik Austria und der Akademie der Wissenschaften) gibt darüber Auskunft und ergänzt objektive Indikatoren durch eine subjektive Sichtweise.
86 Prozent der Zugewanderten in Wien fühlen sich völlig oder eher heimisch, nur 5 Prozent überhaupt nicht. 80 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund sind mit der hiesigen Lebensweise sehr oder im Großen und Ganzen einverstanden, nur 3 Prozent lehnen sie ab. Umgekehrt stimmen nur 10 Prozent aller Befragten in Wien fremdenskeptischen Statements uneingeschränkt zu, signifikant weniger als im österreichischen Durchschnitt.
Die Integrationsrealität in Wien ist manchmal besser, als von der Publizistik, der Opposition oder den migrantischen Interessenvertretungen suggeriert wird. Weder oberflächliches Schönreden ist angesagt noch ausschließliches Krankjammern. Integration findet statt, getragen von den Menschen vor Ort, mit Konflikten und Erfolgen. Sie gestalten pragmatisch den Umgang miteinander und finden ihren Weg zueinander - in einem viel höheren Ausmaß, als es die Politik wahrnimmt.
Heinz Fassmann ist Professor für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung an der Universität Wien.