Viele Afghanen in Wien haben Integrationsprobleme. Die Gründe dafür sind vielfältig. Eine Spurensuche.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Es ist kurz nach neun Uhr. Die Dependance der Caritas für Asylwerber in der Mariannengasse unweit des Alten AKH ist wie fast immer überfüllt. Der aus Teheran geflohene 19-jährige persische Friseur Ashkan und der junge afghanische Sportlehrer Wali, der von den Taliban-Milizen misshandelt wurde, holen sich einen Kaffee und unterhalten sich in Farsi über die Möglichkeiten, die ÖSD-Prüfung, sprich den international anerkannten Deutschnachweis, günstiger machen zu können. Der große Unterschied zwischen den beiden ist, dass es gegen Afghanen große Vorurteile- Stichwort Vergewaltigung, Gewalttätigkeit - gibt, gegen Perser aber nicht.
Im Hof hat sich eine Gruppe junger Afghanen, alle zwischen 17 und 24 Jahre alt, um einen etwa 30-jährigen Landsmann versammelt. Viele von ihnen sind erst seit ein paar Wochen in Österreich, kennen nur Krieg, sind kaum gebildet und haben zudem oft ein schwieriges Verhältnis zu Frauen. Ihnen ist bewusst, dass es Monate, wenn nicht Jahre dauern kann, bis sie hier integriert werden können. Der 30-jährige wird wie ein Held gefeiert. Er kennt die Gesetze einigermaßen, weiß, was man als Flüchtling in den ersten Monaten wissen muss und hat vor allem ein offenes Ohr für die vielen Anliegen seiner "Brüder".
Es ist ein langer Wegbis zur Integration
Er heißt Ali D. und kam vor mehr als sechs Jahren mit einer kleinen Tasche selbst als Flüchtling nach Österreich. "Ich hatte nicht einmal ein Mobiltelefon oder einen Mantel, nur ein paar kleine persönliche Dinge. Aber ich habe mich nicht unterkriegen lassen und bin noch einmal aufgestanden, habe neu begonnen und kann nun die Früchte meiner Bemühungen ernten", erklärt er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Heute arbeitet er in einem großen Betrieb, spricht fließend deutsch und englisch und hilft seinen Landsleuten in seiner Freizeit ehrenamtlich. Er hat den Integrationsprozess musterhaft gemeistert, doch er sieht sich nicht als Norm. "Integration geht nicht auf Knopfdruck und ohne Willen. Meine Landsleute sind sehr emotional. Aufgrund ihrer Vergangenheit brauchen sie intensive Betreuung", sagt er.
Ali muss an diesem Vormittag sehr viele Fragen beantworten. Warum die einen Zuschuss von den Wiener Linien bekommen und die anderen nicht. Warum das Verfahren bei den Syrern schneller geht als bei den Afghanen. Wieso manche Österreicher glauben, dass alle Afghanen Frauen vergewaltigen wollen und so weiter. Nach einigen Minuten öffnet Ali seine große Tasche. Darin hat er Broschüren mitgebracht, die den jungen Burschen helfen sollen. Informationen über Österreich, das Leben im Westen, die Demokratie, sowie ein Folder mit Tipps für ein friedliches Zusammenleben zwischen Österreichern und Afghanen. "Vergesst nie, dass wir die Gäste sind. Wir sind in deren Land gekommen, also ist es selbstverständlich, dass wir uns an ihre Regeln anpassen müssen und nicht umgekehrt", sagt er in einem freundlichen, aber bestimmten Ton. Nachsatz: "Wenn ihr das beachtet, dann werdet ihr keine Probleme haben, weder mit der Polizei, noch mit Frauen, noch mit sonst irgendwem." Danach verteilt Ali einen Zettel mit einer Liste kostenloser Deutschkurse in Wien.
"Deutsch ist euer Lebenselixier. Stellt euch immer vor, dass ihr ohne die Sprache nicht atmen könnt", ergänzt Ali und erzählt über die Rahmenbedingungen seiner Brüder: "In Afghanistan können mehr als 65 Prozent der Menschen nicht lesen und schreiben. Bei den jungen Männern ist es etwas besser, etwa einer von drei ist Analphabet. Zudem belastet es enorm, dass viele wissen, dass ihre Zukunft in Österreich ungewiss ist", sagt er. Das bedeutet, dass jeder zweite Afghane, der durch das Asylverfahren ist, nicht genau weiß, ob er in ein oder zwei Jahren noch in Österreich sein wird.
Afghanistan will keine Asylwerber zurücknehmen
Mit diesem Wissen gestaltet sich Integration schwierig. Letztlich bekommt nämlich nur knapp die Hälfte der Afghanen Asyl und gilt somit als persönlich verfolgt. Der Rest darf befristet für ein Jahr hierbleiben oder muss abgeschoben werden. Weil Afghanistan aber keine Menschen zurücknimmt, bleiben viele dennoch hier und kämpfen mit einem weiteren großen Problem, dem schlechten Image: Im Vorjahr kam jeder zweite wegen eines Sexualdelikts angezeigte Asylwerber aus Afghanistan. Afghanen werden generell häufig straffällig, haben durch die mangelnden Schreib- und Lesekenntnisse ihrer eigenen Muttersprache (Dari, das Farsi sehr ähnelt, oder Paschtu) oft einen viel längeren Vorlauf, bis der Integrationsprozess beginnen kann. Dennoch sollte man nicht alle in einen Topf werfen.
Einer, der gut integriert ist und seit Jahren hilft, ist der ebenfalls aus Afghanistan stammende Arzt für Allgemeinmedizin und Mikrobiologie Abdul Malyar, der seit 2008 die Gesellschaft für Integration und Kultur der Afghanen in Wien leitet. In seine Praxis kommen viele Afghanen, die Rat suchen. Zudem hält der 67-Jährige regelmäßig Vorträge zur Integration und hilft Afghanen bei der Erledigung ihrer administrativen Hürden. Schon im Frühling forderte er in einem Interview mit der "Wiener Zeitung" ein hartes Durchgreifen gegen Straftäter und sah einen großen Bedarf bei Integrationsmaßnahmen. Angesprochen auf die vorhandenen Probleme bei der Integration von Afghanen, hat Malyar -wie er sagt - "eine Wut im Bauch".
"Viele Probleme, die hier entstehen, kommen aufgrund des mangelnden Informationsstandes der Asylwerber zustande", so der Arzt. Als Beispiel nennt er Falschmeldungen: Asylwerber geben sich als Analphabeten aus, damit sie einen positiven Asylbescheid bekommen. Später, wenn sie diesen in Händen halten, geben sie bekannt, dass sie doch lesen und schreiben können.
Ferner passieren immer wieder Formalfehler in den verschiedenen Verfahren. Viele dieser Irrtümer würden dann zu negativen Bescheiden führen. "Bedauerlicherweise werden Asylwerber auch oft ungerechtfertigt abgeschoben", sagt Malyar.
"Verurteilte Straftäter ohne Wenn und Aber abschieben"
"Mir wäre es lieber, dass die gerichtlich verurteilten Straftäter ohne Wenn und Aber abgeschoben werden und diejenigen, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, sehr wohl eine Chance bekommen", ergänzt er. Für die Jugendlichen hat er konkrete Vorschläge. Diese sollen intensiv betreut werden, verpflichtend umfassende Sprachkurse besuchen und ebenfalls obligatorisch eine Sportart nach Wahl ausüben, um sich abreagieren zu können.
"Dann hätten sie keine Zeit mehr für kriminelle Handlungen und würden nicht auf blöde Gedanken kommen", unterstreicht der Experte. "Außerdem sollten die jugendlichen Afghanen als Adoptivkinder verstärkt in österreichische Familien integriert werden", so der Vorschlag des Arztes. "Man muss natürlich diesen Schritt mit finanziellen Unterstützungsmaßnahmen für die betroffene Gastfamilie attraktiv machen."
Pro Asylwerber-Unterkunft sollte zudem ein Muttersprachler als Berater angestellt werden, damit er den Menschen zu Seite stehen und das Leben und die Kultur Österreichs näherbringen kann. Aber auch Malyar weiß, dass diese Dinge Zeit brauchen und es bis dahin noch ein langer Weg sein wird.