Zum Hauptinhalt springen

Integration, nicht Assimilation

Von Joachim Hohl

Politik

Es gibt kein größeres Leid auf Erden als den Verlust der Heimat, wie der griechische Dichter Euripides bereits im Jahr 431 vor Christus in seiner "Medea" festhielt. Doch bis heute sind täglich zahlreiche Menschen gezwungen, ihre vertraute Umgebung zurückzulassen und ihr Heil in der Flucht zu suchen - ohne Habseligkeiten und oft ohne die engsten Angehörigen, nur mit der Hoffnung irgendwo ein neues Leben beginnen zu können. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat im Dezember vorigen Jahres den 20. Juni zum Weltflüchtlingstag erklärt, um auf die Situation von Millionen vertriebener Menschen aufmerksam zu machen. Viele engagierte Menschen sind sich aber auch hierzulande sehr wohl der Tatsache bewusst, dass Flüchtlinge Hilfe benötigen, und versuchen deren Integration voranzutreiben - mit dem Ziel, ihnen wieder ein selbstverantwortetes Leben zu ermöglichen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 23 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Weltflüchtlingstag wird morgen zum ersten Mal begangen. Das Motto, das das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees), dazu ausgibt, lautet "Respekt" - und den verdienen sich die Menschen, die oftmals alles verlieren und sich in einer fremden Umgebung zurechtfinden müssen, allemal.

Das beginnt schon beim meist abenteuerlichen und äußerst gefährlichen Fluchtweg - zumal in Zeiten wie diesen, in denen nach und nach strengstens gesicherte "Supergrenzen" entstehen, wie etwa an der Grenze der USA zu Mexiko oder zuletzt im Süden Spaniens. Dass die Risikobereitschaft gezwungenermaßen enorm ist, zeigte sich nicht zuletzt auch bei der Tragödie um die indischen Flüchtlinge am slowakischen Teil der March. Insofern ist es schon erstaunlich, dass es Flüchtlingen aus Bürgerkriegsländern wie Sierra Leone oder Afghanistan überhaupt gelingt, Österreich zu erreichen.

Doch nach der Tortur der Flucht beginnt erst der ähnlich mühsame jahrelange "Kampf" zur Wiedererlangung der Rechte und Möglichkeiten, um ein würdevolles Leben führen zu könne. Herbert Eckhart, Leiter des sogenannten "house" in Linz, einer Betreuungsstätte für unbegleitete Minderjährige, zu einem Großteil Flüchtlinge, erläutert die ersten Schritte: "Nach der Primärversorgung mit Unterbringung und medizinischer Untersuchung ist es wichtig, die persönliche Geschichte abzuklären." Denn diese sei entscheidend, um die optimale Betreuungsstätte auswählen zu können. Allein, es fehlen in Österreich die Erstaufnahme- ("Clearing"-) Stellen, die eben diese Aufgabe übernehmen könnten. Wenn denn alles klappt, könnten aber noch in der zweiten Hälfte dieses Jahres fünf solcher Clearing-Stellen eingerichtet werden. Die geplanten Standorte - Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und Steiermark - verraten dabei schon einiges über die "Zentren" der Flüchtlingsbetreuung beziehungsweise Integrationsarbeit in Österreich. Bei minderjährigen Flüchtlingen stellt sich zudem noch eine Frage: Wer ist finanziell und rechtlich verantwortlich? Bis jetzt niemand. Eine andere Bestimmung verursacht bei mit Flüchtlingsfragen Befassten hingegen schon mehr als ein Stirnrunzeln, eher einen gewissen Unmut: Denn ein Flüchtling darf zwar ab dem 16. Geburtstag in Schubhaft gesteckt werden, muss aber volljährig (also bislang 19 Jahre, mit der generellen Senkung des Volljährigkeitsalters in Österreich ab 1. Juli 18 Jahre) sein, um einen Asylantrag stellen zu können. Es stellt sich die Frage, ob der Gesetzgeber hier nicht einiges korrigieren könnte.

Nach der Phase der Orientierung und Stabilisierung kann dann die "eigentliche" Integration beginnen. Die Begriffsklärung fällt dabei nicht so leicht, nur eines darf es - und das ist allen Flüchtlingsbetreuern und auch Flüchtlingen klar - auf keinen Fall sein: Assimilation. Hans Schwarzbauer-Haupt von der Oberösterreichischen Caritas plädiert dafür, Integration als "gegenseitigen Lernprozess" zu verstehen. "Natürlich kann es zu Konflikten kommen, entscheidend ist jedoch, in welchem Geist diese gelöst werden." Für Menschen, die unvorbereitet in ein fremdes Land kommen, sei es ohnedies immer doppelt schwer. Denn neben einer neuen Sprache müssten sie auch noch die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze kennenlernen.

Interesse an Deutsch ist groß

Doch die Bereitschaft zum Erlernen der Sprache ist zumindest bei den Integrationseinrichtungen allgegenwärtig und direkt spürbar. So macht etwa ein 32-jähriger irakischer Flüchtling, ehemaliger Universitätsprofessor in Bagdad, zwar die "westlichen Imperialisten" für die Lage in seiner Heimat verantwortlich. Dennoch besucht er in Linz Deutschkurse im Begegnungszentrum "Arcobaleno": "Denn nur durch die Sprache können wir Anschluss an die Gesellschaft finden."

Überhaupt ist das Interesse am Erlernen der deutschen Sprache bei vielen Flüchtlingen in den letzten Jahren gestiegen, was aber weniger mit einem gewissen Druck von Seiten der Regierung als mit der Emanzipation auf Seite der Frauen zu tun habe, wie viele Experten meinen. Bei den Frauen steige das Interesse und der Mut, eine neue Sprache zu erlernen. Dies bestätigt auch Rheinlinde Mendel, eine der wohl schillerndsten und beeindruckendsten Personen der "Szene".

Rheinlinde Mendel, die allein mit persönlichen Einsatz zunächst in Kapfenberg - in "Arbeiterstädten" kann so etwas bisweilen noch etwas leichter funktionieren - eine Ausländerbetreuungsstätte ins Leben gerufen hatte, leitet heute das weithin bekannte "Integra", ein angesehenes Integrationshaus im steirischen Bruck an der Mur. Vor allem bosnische Frauen hätten nach ihrer Flucht aus dem Kriegsgebiet im ehemaligen Jugoslawien oftmals aus Respekt vor ihren Ehemännern darauf verzichtet, Deutsch zu erlernen. Dies habe sich aber im Laufe der letzten Jahre geändert, und heute bestünde bei den Frauen durchaus das Interesse, durch die Sprache auch in Kontakt mit anderen Personen treten zu können. Der negative Aspekt sei dabei anfangs allerdings gewesen, dass sich die Männer gekränkt gefühlt und von sich aus zurückgezogen hätten. Mit zahlreichen Gesprächen hätten sich aber in den meisten Fällen die Probleme bereinigen lassen, so Mendel.

"Wo ist der Room Service?"

Die engagierte Flüchtlingshelferin vergisst aber auch nicht, die negativen Aspekte, die ihr im Lauf ihrer langjährigen Arbeit begegnet sind, zu erwähnen. So sei sie oft angefeindet worden, gerade weil sie stets versucht habe, völlig unpolitisch zu agieren. Dies habe Neider auf den Plan gerufen. Auch mit einigen Flüchtlingen hat Mendel unerfreuliche Erfahrungen machen müssen. Manchmal werde nämlich auf deren Seite davon ausgegangen, dass der Staat für alles aufkommen müsse, und die erhaltenen Nothilfegelder würden dann beispielsweise dazu verwendet, Freunde im Ausland per Flugzeug zu besuchen. Ein Flüchtling habe in ihrer Betreuungsstätte auch einmal gefragt: "Wo bleibt denn der Room Service?".

Und auch vor der Heirat mit geflohenen Männern muss Mendel sie einheimischen Frauen eher abraten. Es kommt nämlich auf Grund der bisweilen traditionellen Einstellung der Familie des Mannes zu Streit - vor allem zwischen Ehefrau und Schwiegermutter - und diese Beziehungen gehen auch zumeist zu Bruch. Nichtsdestotrotz legt Mendel Wert auf die Feststellung, dass das Positive bei der Arbeit überwiegt. Dies glaubt man gerne, wenn man beobachten darf, wie sehr Mendel von den Menschen, die die Integration dank ihrer Hilfe bereits geschafft haben beziehungsweise die sie gerade betreut, verehrt und geliebt wird. Mendel hat zudem eine erstaunliche Erfolgsbilanz vorzuweisen. Denn von den 9.900 Menschen, die sie bislang betreute, hat sie nahezu der Hälfte erfolgreich Arbeit vermitteln können.

Es ist aber leider eher selten der Fall, dass die Qualifikationen, die Flüchtlinge aus der Arbeit in ihrer ehemaligen Heimat mitbringen, richtig eingesetzt werden. Robert Reithofer, Leiter des ISOP-Projekts, einem Ausbildungszentrum für Asylwerber in Graz: "Österreich ist ein Einwanderungsland. Das wird aber oft nur verschämt zur Kenntnis genommen, was sich auch auf dem Arbeitsmarkt widerspiegelt. Ausländern ist der Zugang zu guten Jobs oft verbaut, und das unabhängig von der Ausbildung." Es sei daher keine Chancengleichheit gegeben.

Doch trotz aller Schwierigkeiten - wie Sprachbarrieren, jahrelangen Asylverfahren und beschränktem Zugang zum Arbeitsmarkt - sei es ein Fehler, dass Flüchtlinge und Asylwerber immer nur im Zusammenhang mit Problemen in der öffentlichen Debatte vorkämen, betont Thomas Rajakovics, Leiter des "Auschlössl" in Graz, einem hervorragenden Integrationsprojekt der Caritas. "In Graz gibt es 36.000 Nicht-EU-Bürger, und die meisten von ihnen haben keine anderen Probleme als die Österreicher. Sie haben die Integration geschafft und können wieder selbstverantwortet leben". Gerade Flüchtlinge hätten auch gerne Unterhaltung. Daher sei man im Auschlössl auch bemüht, ein positives Lebensgefühl zu vermitteln. Mit hervorragenden ausländischen Speisen, Musik und einer Fußballmannschaft auf Landesliga-Niveau vermag dies auch ausgezeichnet zu gelingen.