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Integration nicht Freifach am Nachmittag, sondern künftig Hauptfach am Vormittag

Von Heike Hausensteiner

Politik

Reden, reden und nochmals reden - das ist die Devise von "Land der Menschen". Die Anti-Rassismus-Initiative ist seit einem Jahr österreichweit aktiv, um bewusste wie unbewusste Fremdenfeindlichkeit bei Herrn und Frau Österreicher aufzuzeigen und aufzuklären. Die Aktion hat bisher ihren Zweck erfüllt und wird wahrscheinlich über den Sommer hinaus verlängert. Doch damit nicht genug: Das bunt gemischte Proponentenkomitee hat auch politische Forderungen formuliert.


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"Ich sag´ Ihnen was: So wie Sie reden, gehören Sie zu uns." Nachdem der pensionierte Feldmarschall der Studentin gegenüber, die in Wien von aus Sri Lanka stammenden Eltern geboren wurde, auf Grund ihres Hautteints seine ganze Ablehnung ausdrückte, herzt er sie nun. Nach einer gemütlichen Gesprächsrunde im Pensionistenheim in Wien Döbling, die "Land der Menschen" gemeinsam mit Migranten und Nachkommen der so genannten zweiten Generation organisiert hat, ist die Welt - fast - wieder in Ordnung.

Geduldiges Zuhören

"Reden wir darüber" ist das Motto von "Land der Menschen". Es sollte ein Projekt auf Zeit sein, die Idee dazu wurde im Herbst 1999 geboren. Prominente ebenso wie karitative Organisationen, Sportler, Künstler und Journalisten, nicht mehr aktive Politiker sowie Vertreter der Sozialpartnerorganisationen unterstützen die Initiative mit Zeit, Geduld und Idealismus. Denn bei den Gesprächen auf Märkten, in Fußgängerzonen, Einkaufszentren, Wohnheimen oder Schulen heißt es zuhören, zuhören und nochmals zuhören. In Österreich lebende Ausländer würden oft erst in der direkten Konfrontation wahrgenommen, sagt Ursula Struppe, Geschäftsführerin von "Land der Menschen", im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Wahrnehmung sei aber Voraussetzung, um das Problem der Integration anfassen zu können. Viele - ausländerfeindliche - Österreicher würden gar keine Migranten kennen, "außer das Putzpersonal". Ähnlich einem "speaker´s corner" können sich Herr und Frau Österreicher bei "Land der Menschen" die Seele vom Leib reden, vorgefertigte Meinungen los werden, erzählen, was sie im Zusammenhang mit "den Ausländern" bewegt. Es seien "zu viele da", heißt es etwa, "die Ausländer werden bevorzugt", sie dürften jederzeit Geschäfte aufmachen und hätten obendrein nie Steuerfahndungen, TV-Satellitenschüssel bekämen sie gratis, "und überhaupt" etc. So manche Aussage sei unmittelbar im Gespräch "nicht falsifizierbar", zu widerlegen, berichtet Ursula Struppe. Migranten müssten in Österreich die Gesetze einhalten und Deutsch lernen, darüber sind sich die Gesprächsteilnehmer rasch einig. Beim Thema der Kopftuch tragenden moslemischen Frauen bröckelt im Laufe der Diskussion die Ablehnungsfront deutlich ab, bis man zum Schluss kommt: Gläubige Mosleminnen "dürfen" das Kopftuch auch hierzulande tragen, denn "das gehört ja zur Religion". Migranten scheinen dann sehr wohl akzeptiert zu sein - "das war ja in Wien immer schon so."

Probleme reduzieren sich

Bei längeren Diskussionen "reduziert sich das Problem", erläutert Struppe ihre Erfahrung mit "Land der Menschen - Reden wir darüber". Eine durchaus missionarische oder zumindest aufklärerische Aufgabe. Das sei ein "Aspekt von politischer Bildung", charakterisiert Struppe - ihres Zeichens Erwachsenenpädagogin im Zivilberuf - "Land der Menschen". Nicht Abstraktes werde erklärt, "wir machen ja keine didaktisch durchkomponierten Bildungsveranstaltungen". Sondern der gebürtige Afrikaner, der jetzt in Österreich studiert, steht etwa zum Drogenproblem Rede und Antwort. "Das löst Nachdenklichkeit aus." Oder bei Gesprächen beispielsweise im fünften Wiener Gemeindebezirk, wo der Ausländeranteil traditionell hoch ist, gehe es um den "normalen Alltagszoff". Da seien die Diskussionen "geerdeter, differenzierter". Bürgerliche Bezirke wie Döbling, Hietzing oder Josephstadt seien da schon ein "härteres Pflaster", so Struppe. Oftmals würden hier Aversionen gegen Ausländer "vom Hörensagen" geäußert.

Fremdenfeindlichkeit "vom Hörensagen"

Bei einem "Gartengespräch" im Burgenland waren auch Grenzsoldaten geladen, die ihrerseits "aus der Fremde", von Kärnten bis zum Waldviertel, kommen. Denn Komitees von "Land der Menschen" haben sich in allen Bundesländern gegründet. Um verschiedene Kulturen kennen zu lernen, hat es nicht nur Treffen in der jüdischen Synagoge in Eisenstadt gegeben.

Pediküre in Ungarn

"Kroaten leben hier seit 600 Jahren gemeinsam mit der deutschsprachigen Bevölkerung", streicht die Soziologin Elfi Fischer hervor. In der von ihr geleiteten "energiemühle", einem Veranstaltungszentrum in Nikitsch nahe der ungarischen Grenze, seien "verschiedene Leute an einem Tisch gesessen", berichtet Fischer von positiven Gesprächen. Das Burgenland gelte als gastfreundlich und sei klein strukturiert, "jeder kennt jeden" - so auch ortsfremde Burgenländer, Wiener etc. Man unterstütze einander gegenseitig, daher sei das Zusammenleben mit Fremden zum Teil selbstverständlich und funktioniere im individuellen Kreis auch. "Die Leute fahren zwar nach Ungarn zur Pediküre und Maniküre, aber wenn es um´s Wahlrecht für Migranten geht, sind sie dagegen." Denn "Land der Menschen" ist auch mit politischen Forderungen an die Öffentlichkeit gegangen.

Politische Forderungen

- Wer legal in Österreich lebt, soll hier auch legal arbeiten dürfen.

- Ausländische Arbeitnehmer (aus Drittstaaten) sollen das passive Wahlrecht bei Betriebsrats- und Interessenvertretungswahlen (Kammern, Hochschülerschaft) sowie das aktive Wahlrecht bei Kommunalwahlen erhalten.

- Familienzusammenführungen sollen aus der Zuwanderungsquote herausgenommen werden.

Unterstützung durch die Sozialpartner

"Wir verstehen uns als Motor einer vernünftigen Integrationspolitik", so "Land der Menschen"-Geschäftsführerin Struppe. "Wir wollen etwas beleben, fördern." Umso wichtiger sei es daher, dass die Forderungen ("Basisforderungen", Struppes Ansicht nach) von den Sozialpartnern im Rahmen der Initiative im Jänner vorgebracht wurden und weiterhin unterstützt werden.

"Land der Menschen" will einen überparteilichen Charakter bewahren; in den Unterstützungskomitees befinden sich explizit keine aktiven Politiker, um "Lastigkeiten" zu vermeiden, betont Struppe - die von der Erzdiözese Wien für "Land der Menschen" dienstfreigestellt wurde. Umso wichtiger ist für die Initiative die gewichtige Unterstützung durch die Sozialpartner, von "den Schwarzen" Christoph Leitl (Wirtschaftskammer) und Lorenz Fritz (Industriellenvereinigung) ebenso wie von "den Roten" Hans Sallmutter (Gewerkschaft) und Herbert Tumpel (Arbeiterkammer). Leitl verweist etwa auf die niedrige Arbeitslosenquote Österreichs und den Mangel an qualifiziertem Personal in der Wirtschaft. Um das Wohlstandsniveau zu halten und die demographische Entwicklung auszugleichen, brauche Österreich in den nächsten Jahren Zuwanderung, so Fritz. "Integrationsfördernde" Maßnahmen wie Deutschkurse oder eine spezielle sprachliche Betreuung der Kinder in den Schulen sollten angeboten werden, meldete sich Leitl als Befürworter der im Jänner von "Land der Menschen" vorgebrachten Forderungen per Aussendung zu Wort. Die Gewerkschaft sieht das passive AK- und Betriebsratswahlrecht für Ausländer als "ein wesentliches Element der Integration"; immerhin würde ihnen auch die AK-Umlage abgezogen, erinnerte Gewerkschafts-Präsident Fritz Verzetnitsch. Hier sei mitunter in den eigenen Reihen noch Überzeugungsarbeit zu leisten, gestand aber Sallmutter als Gewerkschaftsboss der Privatangestellten. Anstatt die Kontingente von Saisonniers jede Saison hinaufzusetzen, sollte den bereits in Österreich lebenden Ausländern der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden, so der Tourismus-Gewerkschaftschef und "Land der Menschen"-Unterstützer (Personenkomitee von Oberösterreich) Rudi Kaske. Das Saisonnier-Modell "übertüncht alte Probleme", meint "Land der Menschen"-Leiterin Ursula Struppe. Anstatt neue Arbeitskräfte hereinzuholen, sollte tatsächlich etwas für Integration getan werden. Ihre Forderungen hat die Initiative auch an die vier im Parlament vertretenen Parteien verschickt. Positive Rückmeldungen gab es von der SPÖ und den Grünen, eine Antwort von ÖVP und FPÖ blieb aus. Die Regierung habe "kein einheitliches Meinungsbild", meint Struppe, bei der die Nicht-Reaktion auf Unverständnis stößt. Zumal man sich beim anonymen Sparbuch sehr wohl auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen könne.

Ausländerbeauftragte

Konflikte in der Bevölkerung müssten entschärft werden, und das sei "nicht nur eine Frage der Sicherheit". Es komme zu "ethnisierten Konflikten", weil "die Leute überfordert" seien. Die Regierung müsse dazu entsprechende Strukturen schaffen, so Struppe. Sie fordert die Einrichtung eines "Ausländerbeauftragten", wie er in Deutschland seit den 80er Jahren existiert. "Es bedarf einer Koordination", etwa beim Beschäftigungsrecht, in Bildungsfragen etc. Zumindest in Wien gebe es den Integrationsfonds, in den übrigen Bundesländern jedoch keinerlei vergleichbare Institution.

Integration sei ein Thema, das "vom Freifach am Nachmittag zum Hauptfach am Vormittag" werden müsse, formuliert es die "Land der Menschen"-Koordinatorin klar. Österreich müsse als "Einwanderungsland" gesehen werden, "das es war, ist und sein wird". Die Vielfalt in der Gesellschaft sei keine Bedrohung, sondern berge Chancen und Bereicherung in sich, lautet die Botschaft. Doch erst wenn das die Bevölkerung auch so sieht, wird "Land der Menschen" die selbst gestellte Aufgabe erfüllt haben. War das Projekt vorerst bis Sommer anberaumt, wird es doch aller Voraussicht nach verlängert, abhängig von der vorhandenen Struktur in den Bundesländern. Klar ist derzeit: Oberösterreich, Tirol und Wien werden weiter machen. Anfang Mai gibt es ein großes Treffen mit den Bundesländerkomitees. Denn: Die Probleme bestehen weiter. Die Anliegen der Integration, so Ursula Struppe, werden in Zukunft eher zunehmen, als abnehmen.

"Land der Menschen" im Internet: www.landdermenschen.at/.