Expertenrat für Integration präsentierte 50-Punkte-Plan von Werteschulung bis Kompetenzcheck.
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Wien. Was dann? Für diese Frage bleibt in der aktuellen Flüchtlingsdebatte wenig Platz und Zeit. Es geht um Zäune oder Nicht-Zäune, über deren Länge und Höhe, es geht um einen Dauerstreit zwischen Bund und Ländern um die Unterbringung von Asylwerbern und um eher rhetorische Fragen nach ultimativen Lösungen für die Gemengelage der Fluchtgründe, auf die Österreich als Nationalstaat keine Antworten geben kann. Was in Zeiten großer Ungewissheit aber mit Sicherheit zu sagen ist: Es werden viele, mehrere zehntausend, Flüchtlinge lange bis dauerhaft in Österreich bleiben. Also was dann?
Der von Integrationsminister Sebastian Kurz eingesetzte Expertenrat unter der Führung des Vize-Rektors der Uni Wien, Heinz Faßmann, hat sich nun interdisziplinär mit dieser Frage beschäftigt und einen 50-Punkte-Plan zur Integration von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten präsentiert. Es ist ein sehr weitführender Bericht, der bei Kindergärten und Schulen ebenso ansetzt wie bei den Themen Arbeits- und Wohnungsmarkt oder Sport.
Wesentlich bei dem Papier ist ein grundsätzliches Umdenken bei der Integration: "Es gibt ein Recht auf Asyl", sagt Minister Kurz, "es gibt aber auch eine Pflicht zur Intergation." Diese Pflicht ist so derzeit nicht verankert, Kurz will sie nun de facto gesetzlich festschreiben, in dem die Nichtmitwirkung an Deutschkursen oder einer Werteschulung harte Sanktionen zur Folge haben soll. Darunter fällt die Halbierung der Mindestsicherung, wenn ein Asylberechtigter diese bezieht.
SPÖ will keine Sanktionen
In der Koalition dürfte zumindest dieser Punkt für Diskussionen sorgen. Die SPÖ reagierte nämlich eher ablehnend bei dieser Grundsatzfrage. "Benimmkurse mit Sanktionen halte ich für kontraproduktiv", sagt SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz. Und die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely verwies darauf, dass ihr noch kein einziger Fall bekannt ist, bei dem ein Asylberechtigter einen Deutschkurs verweigert habe. Grundsätzlich begrüßte Wehsely aber den am Donnerstag präsentierten Plan der Experten.
Für Kurz ist die Integrationspflicht jedenfalls die konsequente Weiterentwicklung in der Debatte. Als in den 1960er Jahren Gastarbeiter nach Österreich geholt wurden, habe sich niemand über Integration Gedanken gemacht, erklärt Kurz. Später habe es dann zwar entsprechende Angebote gegeben, doch ohne Sanktionsmöglichkeit. "Jetzt gibt es einen verpflichtenden Integrationsplan für jeden einzelnen Flüchtling", sagt Kurz. So soll es zumindest beschlossen werden. Die kommende Klausur der Regierung ist der Integration gewidmet, bei der bisher letzten Klausur im September wurde vereinbart, dass alle Ressorts Integrationsmaßnahmen vorbereiten sollen. Auch Faßmann verweist auf den nötigen politischen Prozess: "Das sind nur Vorschläge und Anregungen."
Im Prinzip geht es dem Expertenrat darum, den Flüchtlingen so schnell wie möglich "eine soziale Teilhabe zu ermöglichen", wie Faßmann sagt. Dazu ist einerseits die deutsche Sprache nötig, andererseits aber auch Beschäftigung. Daher soll es für alle Asylberechtigte einen personalisierten "Integrationsplan" geben, den das Arbeitsmarktservice (AMS) als Schnittstelle prüfen soll.
Dieser Plan beinhaltet die Teilnahme an einer Werteschulung, an Deutschkursen sowie an einem Kompetenzcheck vom AMS. In Wien wird gerade für 1000 Flüchtlinge in einem Pilotprojekt dieser Check erprobt, Faßmann schlägt die bundesweite Ausweitung vor - auch um informell erworbene Qualifikationen zu erkennen. Je schneller die Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können, desto besser. "Die Periode der Mindestsicherung soll eine möglichst kurze sein. Denn eine Verteilungsdiskussion zwischen Einzahlenden und Herausnehmenden will ich in Österreich nicht haben", sagt Faßmann.
Integrationsplan endet früh
Die Mindestsicherung soll laut Expertenpapier "verstärkt als pädagogisches Instrument verstanden werden". Wenn Asylberechtigte an verpflichtenden Kursen nicht teilnehmen, sollen sie bestraft werden. Konkret ist als Sanktion die Halbierung der bedarfsorientierten Mindestsicherung vorgesehen. Dies ist auch derzeit möglich, etwa wenn ein Bezieher Arbeit ablehnt.
Die von Kurz avisierte Integrationspflicht endet freilich bald. Für die Werteschulung sind auch nur acht Stunden eingeplant, was auch Faßmann für zu kurz hält. Deshalb fordert er, dass die die Vermittlung gewisser Werte - der Migrationsforscher nennt Religionsneutralität und Gleichheit der Geschlechter - auch in den Deutschunterricht integriert wird.
Doch was dann? Das AMS hat es sich laut Faßmann zum Ziel gesetzt, innerhalb von fünf Jahren die Hälfte der Asylberechtigten in Beschäftigung zu bringen. Und selbst das sei ein hohes Ziel. Bei Integration ist auch Zeit ein Faktor. Es geht nicht um ein paar Wochen oder Monate, in denen ein paar Kurse abgearbeitet werden, sondern um Jahre. In den Expertenplänen finden sich auch einige Ideen für begleitende Maßnahmen, darunter der Ausbau des Buddy-Systems, einer Art ehrenamtlicher Patenschaft für Flüchtlinge, oder auch ein Mentoring-Programm für besonders engagierte Flüchtlinge.
Was nicht vorgesehen ist: eine Weiterführung des personalisierten Integrationsplans. Das könnte ein Anreizsystem für Integrationsbemühungen über mehrere Jahre hinweg sein, beispielsweise bei ehrenamtlichen Tätigkeiten oder besonders guten Deutschkenntnissen. Im Papier des Expertenrats finden sich zwar einige solcher Ideen, jedoch unabhängig voneinander und nicht eingebettet in einen personalisierten "Weg zur Integration", äquivalent zum Bildungskompass.
Einbürgerung kein Thema
In dem Fall müsste dann konsequenterweise am (fernen) Ende eines solchen Integrationsweges die Einbürgerung stehen, quasi als letzter Schritt zur Integration. Von Faßmann kommt dazu kein Nein, im Gegenteil. Es wäre sinnvoll, sagt er. "Aber das ist eine politisch heikle Frage." Im Expertenpapier wurde sie wohl auch deshalb komplett ausgeklammert.
Was am Ende von den 50 Punkten übrig bleiben wird, dürfte auch von der Rückmeldung des Finanzministers abhängen. Nicht alle, aber doch viele dieser Vorschläge würden Mehrkosten verursachen. Einig wären sich ja zwar so gut wie alle, dass Investitionen in Integrationsmaßnahmen wichtig und vernünftig wären. Und dennoch stellt sich die Frage: Wer soll das alles bezahlen?
50-Punkte-Plan zur Integration von Asylberechtigten und subsidiär Schutzberechtigten in Österreich
(PDF)