OECD-Experte Thomas Liebig über Arbeit und Migration. | "Integration kann man nicht erzwingen" - gute Ideen nötig. | "Wiener Zeitung": Wann kommen endlich jene paradiesischen Zeiten, in denen die Nachfrage nach Arbeitskräften größer ist als das Angebot? Derzeit werden wir wieder einmal mit Horrorprognosen über massiv steigende Arbeitslosigkeit konfrontiert.
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Thomas Liebig: Der demographische Wandel wird durch den derzeitigen Konjunktureinbruch nicht aufhören: Die Alten werden mehr, die Jungen weniger. Auch der strukturelle Wandel in der Arbeitswelt wird sich fortsetzen. Schon jetzt haben wir mehr Nachfrage als Angebot, etwa bei haushaltsnahen Dienstleistungen - auch wenn das zugegebenerweise nicht gerade die attraktivsten Jobs sind. Gerade Zuwanderer könnten diese Nachfrage füllen.
Mehr Zuwanderung in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit?
Es ist keineswegs immer so, dass Zuwanderer anderen die Arbeit wegnehmen. Spanien etwa verzeichnete zwischen 2000 und 2007 rund vier Millionen Zuwanderer. Hinzu kommt, dass dieses Land über eine im EU-Vergleich überdurchschnittliche Arbeitslosenrate und eine unterdurchschnittliche Frauenerwerbsquote verfügt, das nicht genutzte Arbeitskräftepotenzial war also hoch. Tatsächlich haben die Zuwanderer den Frauen ermöglicht, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, indem sie haushaltsnahe Dienstleistungen anboten. Auch in der Baubranche haben sie zum Boom beigetragen. Grundsätzlich muss man sagen, dass die Zuwanderung weiter bestehen bleiben wird. In Österreich dominiert aber ohnehin der Familiennachzug.
Migranten der zweiten Generation gelten mittlerweile als Sorgenkinder auf dem Arbeitsmarkt. Was kann die Politik dagegen unternehmen?
Am allerwichtigsten ist es, den Kontakt zum Arbeitsmarkt herzustellen - etwa durch Praktika, Schnupperkurse, Ferialarbeit und andere. Natürlich sind Investitionen in Weiterbildung und Qualifikation immer richtig. Viele der zweiten Generation sind gerade auf dem Sprung in den Arbeitsmarkt, und wir wissen aus Studien wie Pisa, dass enorme Probleme bei Qualifikation und Bildung bestehen. Hier gibt es oft wohl keine Alternative zu einem Eingreifen des Staates in Form von Lohnzuschüssen. Auch wenn man stets mitbedenken muss, dass diese nur zeitlich begrenzt erfolgen können.
Wie kann die Schule helfen? Die Probleme entstehen ja häufig erst durch hohe Ausländeranteile an Schulen.
Zu Sprachproblemen kommt es immer dann, wenn eine ethnische Gruppe zahlenmäßig besonders groß ist. Gibt es aber Vielfalt, so ist auch bei einem hohen Ausländeranteil Deutsch die Sprache auf dem Schulhof. Am effizientesten sind die einfachen Dinge: Hilfe bei den Hausaufgaben, und die Wohnpolitik muss Ghettobildung vermeiden helfen. Mit zwei oder drei Jahren sollten Kinder mit der fremden Sprache in Kontakt treten, dafür muss es aber ein entsprechendes Angebot geben.
Verpflichtend oder durch gutes Zureden?
Integration kann man nicht erzwingen, oft reichen bereits gute Information und Ideen. In Dänemark etwa erreicht man die Kinder in einem frühen Alter, indem man den Müttern Sprachkurse und gleichzeitige Betreuungsmöglichkeiten anbietet.
Aber für die jetzige "verlorene Generation" kommen diese Ideen zu spät.
Man sollte nie von einer "verlorenen Generation" sprechen. Je später man etwas tut, desto schwieriger und desto teurer wird Integration. Man muss begleitend helfen, die Menschen bei der Hand nehmen, wenn sie nicht selbst dazu in der Lage sind - und manchmal muss man vielleicht auch etwas sanften Druck anwenden.
Zur Person
Thomas Liebigist Arbeitsmarktexperte der OECD. Er referierte am Donnerstag beim Forum zur Zukunft der Arbeit von CCC (Competence Call Center), Managementclub und GPK zum Thema Arbeit und Migration.