"In Österreich ist es gut, wenn man sich zuerst ruhig verhält."
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Wien. Als Deutscher hat man es nicht immer leicht in Wien. Speziell dann nicht, wenn es um Fußball geht. Aber auch in vielen anderen Angelegenheiten ticken wir einfach anders als unsere Nachbarn.
Wegen dieser Andersartigkeiten organisiert die MA17 (Integration und Diversität) seit Frühjahr letzten Jahres vierteljährlich ein Infomodul für Deutsche in Wien. Moderiert wird der zweistündige Infoabend von Deutschen, die schon länger in Wien leben und Tipps für den Alltag und den Umgang miteinander geben.
Die Abende sollen aber keinen Vortragscharakter haben: "Es ist ein lockerer, freiwilliger Infoabend, der offen moderiert wird. Die Leute bringen ihre Erfahrungen aus dem Alltag ein", erklärt Jockel Weichert, einer der Moderatoren. Er selbst lebt seit 1999 in Wien, hat sich hier eine berufliche und private Existenz aufgebaut. Im Rahmen des Infomoduls "Deutsche in Wien" will er deutschen Einwanderern bei der Bewältigung des Alltags helfen.
Häufig diskutieren die Teilnehmer über Probleme bei der Kommunikation innerhalb von Betrieben. Sie berichten von Vorurteilen der Österreicher gegenüber den deutschen Mitarbeitern. "Die Deutschen werden oft gleich als ‚typische Piefke‘ abgestempelt. Wenn ein Deutscher in einer Firma, vor allem wenn er neu ist, einen Vorschlag einbringt, kann das in den falschen Hals geraten", weiß Weichert. Das liege vor allem an der unterschiedlichen Unternehmenskultur: "In deutschen Unternehmen soll man sich als neuer Mitarbeiter gleich voll einbringen. In Österreich hingegen ist es besser, wenn man sich erst einmal ruhig verhält, Vertrauen gewinnt und sich kennenlernt. Will man Kritik üben, muss man diese gut verpacken." Dabei wollen die Deutschen, dass auch an ihnen Kritik geübt wird. "In Deutschland wird man von seinem Arbeitgeber viel direkter kritisiert, man bekommt direktes Feedback", sagt Weichert. Das fehlt den Deutschen in österreichischen Unternehmen.
Auch administrative Dinge werden während der Infoabende diskutiert und besprochen. "Einmal haben wir einen deutschen Steuerberater eingeladen, der in Österreich wohnt. Er hat den Teilnehmern die Unterschiede zwischen dem österreichischen und dem deutschen Steuersystem erklärt", erzählt Weichert. Außerdem erfahren die Einwanderer, wie sie ihr Auto ummelden, was ein Kollektivvertrag ist, wie man sich bei der MA35 (Einwanderung, Staatsbürgerschaft, Standesamt) anmeldet oder wie die Passvergabe bei der deutschen Botschaft funktioniert. Die Themen sind nicht strikt festgelegt und ergeben sich oft aus den Diskussionen und Gesprächen.
Piefke Connection
Auch in der Freizeit stoßen Deutsche in Österreich oft auf Ablehnung. Vor allem, wenn es um das heikle Thema Fußball geht. "Besonders während der Europameisterschaften findet dieses Piefke-Bashing statt", weiß Weichert. Deshalb hat ihn die EM 2008 dazu veranlasst, sein Projekt "Piefke Connection Austria" ins Leben zu rufen. "Als Deutscher konnte man sich nicht öffentlich für seine Mannschaft freuen, es gab richtige Aggressionen gegenüber uns Piefkes. Heute ist die Situation fast entspannt im Vergleich zu vor 10 Jahren", erzählt Weichert.
Stammtisch-Runden
Aus gemeinsamem Fußball schauen ist das größte soziale Netzwerk für Deutsche in Österreich geworden. Auf der Business-Network-Plattform Xing zählt Piefke Connection bereits 1660 Mitglieder, auf Facebook sind es immerhin 560 Anhänger. Auch wenn die "Piefke Public Viewings" dieses Jahr sehr erfolgreich waren, dreht sich längst nicht mehr alles nur um Fußball. "Es ist eine Austauschplattform für Deutsche in Österreich. Einmal im Monat findet ein Stammtisch statt, es werden Freundschaften geschlossen aber auch Business-Kontakte geknüpft. Auch in den einzelnen Bundesländern gibt es schon solche Treffen", erzählt Weichert. Von den Österreichern abkapseln wolle man sich aber auf keinen Fall: "Neben dem Stammtisch gibt es noch viele andere Aktivitäten wie gemeinsame Theaterbesuche, Wanderungen, Fahrradtouren oder Fußballturniere. Da können natürlich auch Österreicher dabei sein", sagt Weichert. Durch die EM 2012 und das Public Viewing sind auch immer mehr Studenten zur Gruppe dazu gekommen, so Weichert.