Hinter dem vordergründigen Türkis wirkt die grüne Handschrift subtiler und entschärfend.
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Mit dem ehemaligen Landesrat Rudi Anschober hat ein Schwergewicht der österreichischen Integrationspolitik - Stichwort "Ausbildung statt Abschiebung" für Lehrlinge - die mitunter schwierigste Arbeitsgruppe der Koalitionsgespräche mitverhandelt. Im Endergebnis vermissen aber viele Kommentatoren eine klar ersichtliche grüne Handschrift in diesem real- und symbolpolitisch heiklen Bereich, gingen doch sämtliche Migrations- und Integrationsagenden an die ÖVP. Diese erhält nicht nur ein eigenes Integrationsministerium mit Sebastian Kurz’ Vertrauter Susanne Raab, sondern auch einen koalitionsfreien Raum "zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl".
Vordergründig schimmert die Integrationspolitik also in sattem Türkis; die grüne Handschrift ist subtiler und wirkt vor allen Dingen entschärfend. So werden Deutschförderklassen, ein vielfach kritisiertes, weil de facto segregierendes "Erbstück" der Vorgängerregierung, zwar beibehalten, diese sollen aber künftig besser ausgestattet und je nach Schulstandort flexibler gestaltet werden. In der Praxis bedeutet das idealerweise, dass Kinder aus bildungsaffinen Familien, zu denen viele Geflüchtete aus Syrien und Irak zählen, rascher beziehungsweise anlassbezogen am Regelunterricht teilnehmen können. Kleinere Gruppengrößen erleichtern das Lernen, wodurch verstärkt auf die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen von Kindern mit nichtdeutscher Muttersprache eingegangen werden kann.
Ganz generell scheint das Regierungsprogramm endlich der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sich bei Migranten und Geflüchteten eben nicht um eine homogene Gruppe handelt. Die Schaffung zielgruppenspezifischer Integrationsangebote wird an mehreren Stellen betont, etwa beim bedarfsgerechten Deutschkursangebot, welches zugänglich, regional, berufsspezifisch und verstärkt mit Kinderbetreuung gestaltet werden soll. Letzteres kommt vor allem migrantischen Frauen zugute, denen ein eigenes Unterkapitel gewidmet ist. Hier wurden zentrale Forderungen der zivilgesellschaftlichen Plattform "Menschen.Würde.Österreich", gegründet von den ehemaligen Flüchtlingskoordinatoren Christian Konrad und Ferry Maier, zwei scharfen Kritikern der türkis-blauen Integrationspolitik, aufgenommen.
Auch im Bereich Zuwanderung findet sich ein wesentlicher Einschnitt zur bisherigen Linie. Während unter Türkis-Blau noch sämtliche Migrationsbewegungen nach Österreich verunmöglicht werden sollten, wird nun eine gesamtstaatliche Migrationsstrategie erarbeitet. Diese soll die "sichere, geordnete, reguläre Migration" fördern, was dem exakten Wording des UN-Migrationspakts entspricht, dem Österreich unter der vergangenen Regierung bekanntlich nicht beigetreten ist.
Trotz der Etablierung eines eigenen Ministeriums, das einem impliziten Bekenntnis zu Österreich als Einwanderungsland gleichkommt, bleibt Integration also eine Querschnittsmaterie. Somit können die Grünen gerade auch im Sozial-, Gesundheits- und Justizbereich integrationspolitisch relevante Inhalte vorantreiben - wenn sie sich nur trauen.