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Integrativer Spiegel der Gesellschaft

Von Othmar Weiß

Politik

Sport ist einfach und messbar. | Sport erzeugt Gruppendynamik. | Wenn man mit Sportzuschauern spricht, so wird neben dem bekundeten Interesse am Sport deutlich, dass es eigentlich um das Erleben in Form sozialer und psychologischer Kategorien geht. Man kommt zumeist mit Freunden oder Familienmitgliedern zu Sportveranstaltungen und sucht über das Ereignis ein integratives Erlebnis, das der Erprobung von Gruppenidentität, also der Demonstration der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe sowie der Erzeugung von Spannung und Vergnügen dient.


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Durch die Integrationsleistung des Sports wird ein gruppenspezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl geweckt. Die Atmosphäre und Stimmung des Publikums sowie die eigene Einfügung in diese Stimmung stellen zentrale Erlebnismomente dar. Fußballfans können sich über den Sieg einer Mannschaft freuen, über eine Niederlage ärgern und an spannenden Momenten teilhaben.

Der Fan handelt einfach auf der emotionalen Ebene, ohne sich anderen kompliziert verbal erklären oder begrifflich machen zu müssen. Das Ereignis an sich bietet emotionale und körperliche Erfahrungs- und Kommunikationsmöglichkeiten und erlaubt den Zuschauern, sich einander verbunden zu fühlen. Des weiteren stellen Sportereignisse einen sich Woche für Woche verändernden Hauptinhalt der Kommunikation in der Familie und am Arbeitsplatz, in Schulen und Gaststätten dar.

In solcher Weise wirkt Sport sozial vermittelnd und erlaubt Anteilnahme mit geringstem Aufwand. Er bietet dem Zuschauer eine hervorragende Möglichkeit für Identifikation und Projektion. Der Zuschauer kann im Vorgang der Identifikation Antriebe als erfüllt erleben, deren reale Befriedigung ihm teils aus gesellschaftlichen, teils aus individuellen Gründen, versagt sind. Die Identifikation mit einem erfolgreichen Sportler kann eine gefühlsmäßige Bindung mit jemandem bedeuten, der es geschafft hat.

Indem der Einzelne am Sportereignis teilhat und seine Anteilnahme von vielen anderen Sportzuschauern geteilt wird, ergibt sich eine ideale Situation für die Bestätigung seiner Identität. Vielfach stehen Phantasien und Wunschvorstellungen ganzer Nationen mit dem Erfolg und Misserfolg ihrer Fußball-Nationalmannschaft auf dem Spiel.

Und das gilt nicht nur für die großen Fußballnationen wie Brasilien oder Italien, sondern auch für Österreich. Im Stillen jubeln wir 27 Jahre nach Cordoba noch immer über den damaligen Erfolg über Deutschland und hoffen, beim nächsten Großereignis wieder dabei zu sein.

Fragt man nach der Faszination und Begeisterung für den Sport, so fragt man auch nach den gegenwärtigen Verhältnissen der Gesellschaft und nach den psychischen und sozialen Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Kennzeichen unserer Zeit ist eine wachsende Vereinzelung und Vereinsamung von immer mehr Menschen. Der Verlust alter Gemeinschafts- und Gruppenbindungen verschiebt sich zugunsten mehr gesellschaftsorientierter Muster.

Das gefühlsmäßige Erleben einer sozialen Einheit kann immer seltener realisiert werden, da das Säurebad der Konkurrenz, in das alle sozialen Beziehungen getaucht werden, Gemeinsamkeiten auflöst. Daher verstärkt sich der Wunsch nach Klarheit, Überschaubarkeit und Einfachheit in der Gesellschaft. Wo sonst im Leben kann man sich an solch einfachen und objektiven Kategorien orientieren wie im Sport: Freund oder Feind, Sieg oder Niederlage, Tor oder Gegentor.

Und es bedarf in zunehmendem Maße einheitsstiftender Symbole wie es der Sport ist, der das gesellschaftliche Wertesystem zum Ausdruck bringt. Im Sport ist der Sieger der Sieger. Was gäbe es da für Österreich Schöneres, als im Fußball und anderen Sportarten ähnlich erfolgreich zu sein wie im alpinen Skilauf.