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Intellektuelle Regression

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

In Israel wird über eine geplante Änderung bei Einbürgerungen gestritten, die von der Mitte-Rechts-Koalition angestrebt wird. Geht es nach deren Wünschen, sollen Einwanderer künftig bei der Staatsbürgerschaftsverleihung einem "jüdischen und demokratischen Staat Israel" die Treue schwören.


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Und das bei einem arabisch-muslimischen Bevölkerungsanteil von fast 20 Prozent.

In Belgien haben die Rechtsextremisten vom Vlaams Belang eine Liste von 770 Namen eines Antwerpener Stadtviertels ins Internet gestellt. Nur 21 davon sind klassisch flämisch, der Rest arabischen und nordafrikanischen Ursprungs. Die Liste sei ein Symbol für die Islamisierung des Landes.

In Deutschland hat Bundespräsident Christian Wulff die Debatte um das Selbstverständnis seines Landes neu befeuert, als er in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit erklärte, dass - neben den jüdisch-christlichen Wurzeln - nunmehr auch der Islam zu Deutschland gehöre. Keine 48 Stunden später hatte Deutschland seine nächste Leitkultur-Debatte in den vorhersehbaren Bahnen. Dabei hat das Land noch nicht einmal die Thesen Thilo Sarrazins richtig verdaut.

Und natürlich nicht zu vergessen die spezifisch österreichischen Diskussionen um Moscheen, Minarette und primitive Wahlkampf-Comics.

Man kann all dies als weiteren Beleg für die These vom Niedergang des Säkularismus in der westlichen Welt als Reaktion auf den Aufstieg des politischen Islam sehen. Man muss es aber nicht. Mindestens so zutreffend ist die Diagnose, dass hinter jeder dieser Aktionen Parteien stecken, die um Wähler buhlen. Und die von den ökonomischen wie sozialen Problemen der Gegenwart mindestens so überfordert sind wie die meisten Wähler.

Wenn Herausforderungen zu komplex werden, flüchtet die Politik in intellektuelle Regression - und Bürger wie Medien folgen brav. Das sollte man jedoch nicht mit Problemlösungsarbeit verwechseln. Und nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ja, es gibt Probleme mit der Integration muslimischer Einwanderer, und ja, der islamistische Terror ist momentan die größte sicherheitspolitische Bedrohung. Nur der Lösung aller anderen Probleme ist man damit keinen Schritt näher gerückt.