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Die Rekonstruktion von "Stockroom", einem Environment von Allan Kaprow, dem Begründer des "Happening", ist zurzeit in der Kunstsammlung Friedrichshof zu sehen.
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Vor mehr als einem halben Jahrhundert, 1961, fand im "Moderna Museet" in Stockholm die Ausstellung "Art in Motion" statt. Einer der teilnehmenden Künstler war Allan Kaprow (1927-2006), der in jenen Jahren in New York mit der Inszenierung von Environments und Happenings Aufsehen erregte.
Sein Beitrag in der Stockholmer Ausstellung war der gestaltete Raum "Stockroom" - wobei der Titel ein sprachliches Spiel beinhaltet, das auf Kaprows besonderen, oft abgründigen Humor verweist. "Stockroom" bezieht sich ebenso auf Stockholm wie auch auf "Lagerraum". Die Grundlage für dieses gestaltete Environment war ein fünfseitiger Text Allan Kaprows, in der Art einer verständlichen Gebrauchsanweisung oder "Partitur", in dem akribisch beschrieben ist, welche Materialien für die Gestaltung des "Stock-room" benötigt werden und wie sie einzusetzen sind.
Seit der ersten Ausstellung wurde dieses Environment insgesamt fünf Mal realisiert. Zuletzt in einer groß angelegten Retro-spektive des Gesamtwerks des amerikanischen Künstlers, die kurz nach seinem Tod 2006 im Münchener "Haus der Kunst" stattfand: "Kunst als Leben". Fünfzig Happenings von Allan Kaprow wurden im öffentlichen Raum wieder durchgeführt.
Die "Reinvention"
Kaprow verwendete dafür den Begriff "Reinvention" und bezeichnete damit eine Wiederaufführung oder Wiederherstellung eines Happening oder Environment nach dem ursprünglichen, meist schriftlichen Konzept.
Bis Mitte September 2012 ist die sechste "Reinvention" von "Stockroom" noch in der Kunstsammlung Friedrichshof im nördlichen Burgenland als erste größere Ausstellung von Werken Kaprows in Österreich zu sehen.
Neben dem rekonstruierten "Stockroom" ist ein Zyklus von Kaprows Collagen aus den 1960er Jahren konventionell an die Wände der Sammlung gehängt, weiters werden dokumentarische Filme von mehreren Happenings aus den 1970er Jahren gezeigt.
Im Eingang des "Stockroom" sind Anmerkungen Kaprows zu lesen: "Die Besucher der Ausstellung sind aufgefordert, jeweils einen der vorgeschlagenen Eingriffe in das Environment vorzunehmen: Durch Malen oder Schreiben auf einer Zeitung oder Schachtel mit entweder schwarzer oder weißer Farbe, Filzstiften bzw. Ölkreiden. Durch das Verändern der Position der hängenden Schachteln durch Umhängen auf freie Haken oder durch Austausch. Durch das Verändern der Position der liegenden Schachteln durch Umstellen."
Diese "Gebrauchsanweisung", nach der eine Studentengruppe des Instituts für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Wien den "Stock-room" eingerichtet hat, endet mit dem paradoxen Hinweis: "Die Stimmung sollte eine der Kunstlosigkeit und der Stillosigkeit sein. Das verlangt natürlich vom Planer ein Höchstmaß an Verantwortung und Hingabe bei seiner Tätigkeit."
Handelt es sich dabei um eine künstlerische Gestaltung, wenn offensichtlich "Kunstlosigkeit" verlangt ist? Ist der "Stockroom" ein plakativer, satirischer oder nihilistischer Beitrag, dessen Absicht dem Besucher und Mit-Spieler unklar bleiben wird? Woraus besteht dieser gestaltete Raum?
Der erste Eindruck ist eine chaotische Anordnung von kommerziellen Kartonschachteln in verschiedenen Größen, die entweder an Nylonschnüren und Haken von verspannten Kabeln abgehängt sind, oder auf dem Boden stehen. Dazwischen liegt zerknülltes Zeitungspapier auf dem Boden, manche Schachteln sind damit ausgestopft. In seiner Anleitung erinnert Kaprow an die traurige Stimmung in Straßen, wenn Zeitungen vom Wind bewegt werden und sich auflösen. Weiters gibt es Klebebänder, eine Leiter und einen Tisch, auf dem Malwerkzeuge liegen.
Was anfänglich chaotisch aussieht, entstammt aber nicht chaotischen Gedanken, sondern dem Gegenteil: der genauen Umsetzung der präzisen Angaben Kaprows, die auf fünf Seiten beschrieben sind. Es geht nun darum, dass während der Dauer der Ausstellung der "Stockroom" von jedem Besucher nach den erwähnten Regeln verändert werden kann und soll. Soweit die Anweisungen befolgt werden, kann sich das Aussehen des Raums im Verlauf von Monaten vollkommen ändern. Wenn gewisse Teile dabei kaputt gehen, ist es den Verantwortlichen überlassen, ob sie die Beschädigungen als Teil der "Aktivität" betrachten oder durch entsprechende Materialien ersetzen.
Aber eigentlich kann nicht viel zerstört werden, weil die permanente Veränderung ja ein konstituierendes Element des Werks ist. Dazu sagt Kaprow, an einen Zen-Meister erinnernd: "Das Environment ist grundsätzlich endlos, erneuerbar, unzerstörbar." Es lässt sich auch nicht verkaufen, weil die eigentliche Idee eine des Wandels ist, der erst durch die aktiven Besucher erzeugt wird. So hat niemand, der von einem Environment etwas besitzen will, mehr in der Hand als Gerümpel.
Weg von der Leinwand
Wie entstanden diese avantgardistischen Konzepte, die Allan Kaprow zum ersten Mal 1957 mit dem Begriff des "Happening" versehen hatte? Kaprow hatte Kunstgeschichte und Philosophie studiert, Malerei bei Hans Hoffmann (1947), Komposition bei John Cage (1957/58). Der bestimmende Ausgangspunkt für seine eigene Arbeit war sein Essay "The Legacy of Jackson Pollock" (1957) - "das Vermächtnis Jackson Pollocks". Kaprow hatte sich als junger Student mit "Action Painting" auseinandergesetzt, wusste aber, dass es künstlerisch keinen Sinn machen würde, die Methoden Pollocks weiterzuführen.
Er wollte weg von der Leinwand, in das normale Leben. In diesem Aufsatz erwähnt Kaprow eine "konkrete Kunst", die aus alltäglichen Materialien besteht: "Farbe, Sessel, Essen, elektrische und Neon-Lampen, Rauch, Wasser, alte Socken, Hunde, Filme."
Kaprow war ein analytischer Denker, der mit paradoxen oder gegensätzlichen Begriffen operierte. Für ihn war die Entwicklung der modernen Kunst eine ernsthafte Angelegenheit, die er folgerichtig weiterdenken und -formulieren wollte. Andererseits war sein humorvoller Anarchismus gegen den kommerziellen Kunstbetrieb, auch gegen die Kunstmuseen gerichtet.
Seine Kunstmittel sollten kommunikativ, kommunitär und interaktiv sein. Der erste Unterschied zur Kunst in Ateliers, Galerien und Museen ist die völlige Aufhebung der Distanz zwischen Künstler und Betrachter. Kaprow bezeichnete seine mehr als 200 überlieferten Arbeiten als "unkonventionelle Theaterstücke", was bis in die 1970er Jahre Diskussionen mit manchen Theaterleuten auslöste, die das Theatralische, Inszenierte seiner strengen Partituren wiederum nicht mit dem Theater verbinden konnten. Seine Herkunft aus der bildenden Kunst war jedoch offensichtlich.
Ab 1959 bezeichnete Allan Kaprow seine Arbeiten als Environments, später als Happenings. Dieser Begriff wurde während der 1960er und 1970er überstrapaziert, nur mehr von den Kennern der Kunstentwicklung mit einem künstlerischen Ereignis in Verbindung gebracht. Später änderte Kaprow den Namen auf "Activities" (lange, bevor ein Gesellschaftspiel mit dem Namen "Activity" erfolgreich war).
Schon als junger Künstler, ab 1953, unterrichtete Kaprow an der Rutgers University in New Jersey. Um 1960 beteiligte er sich an der internationalen Bewegung "Fluxus", gemeinsam mit den Künstlern Roy Lichtenstein, George Brecht, George Segal, Lucas Samaras und anderen.
In der Ausstellung wird in einem einleitenden Text das Werk Allan Kaprows in den internationalen Kontext der "Performativen Wende" um 1960 gestellt: mit New Yorker Vertretern wie Claes Oldenburg (dessen große Retrospektive bis Ende Mai 2012 im MUMOK zu sehen war), mit Europäern wie Joseph Beuys, Wolf Vostell, Nam Jun Paik, den Wiener Aktionisten.
Der Künstler, Lehrer und Theoretiker Kaprow hatte mit seinen Activities über Jahrzehnte nicht nur die Aktions-, Performance- und Installationskunst mitgeprägt, sondern auch als Schriftsteller gewirkt. Sein Essay "Die Zukunft der Pop Art" (1963) weist bereits auf das Thema hin, das ihn durch die Jahrzehnte beschäftigen sollte: "Blurring of Art and Life" ("Das Verwischen von Kunst und Leben"), wie Kaprow eine spätere Sammlung von Aufsätzen aus vier Jahrzehnten nannte. Da Kaprow die Entwicklung der modernen Kunst weiterdenken wollte, kam er über das "Verwischen" zum Thema "Un-art" (Un-Kunst) und veröffentlichte dazu die Texte "Art Which Can’t be Art" und "The Education of the Un-Artist".
1974 bis 1993 wirkte Kaprow als Professor am Visual Arts Department der University of California in San Diego. Im Unterschied zu Kunstmuseen betrachtete er Kunsthochschulen als freie Orte, wo viele seiner Arbeiten gemeinsam mit Studenten aufgeführt wurden.
Ein fröhlicher Raum
Was auf den ersten Blick wie ein richtiger "Saustall" oder formloses Chaos aussieht, erweist sich als ein fröhlicher Raum, der aber ohne die Aktivität der Besucher keinen Sinn macht. Es ist keine Installation, die auf Dauer in einem Museumsraum sein könnte.
Am Abend der Vernissage waren es einige Kinder, die sich mit größtem Ernst dem Bemalen von Schachteln widmeten. Für Erwachsene sind solche Aktivitäten schwieriger anzunehmen, weil sie ihnen lächerlich erscheinen. Aber das Werk wird eben erst realisiert und verständlich, wenn der Besucher sich darin einmischt. So fand sich dort ein Schriftsteller, den eine abgehängte Kartonschachtel großen Formats so weit inspiriert hatte, dass er ein längeres Gedicht darauf schrieb. In einem seiner Texte schrieb Kaprow über seine Konzepte: "Ein Spiel, ein Abenteuer, eine Anzahl von Aktivitäten, die von den Teilnehmern um des Spielens willen ausgeführt werden."
Die Ausstellung "Allan Kaprow - Stockroom" ist bis 16. 9. 2012 in der Sammlung Friedrichshof zu sehen: Römerstraße 7, 2424 Zurndorf, Burgenland. Besichtigung nach Vereinbarung: mobil 0676-7497682, 0660-2509538. Informationen unter: www.sammlungfriedrichshof.atBernhard Widder, geboren 1955, lebt als Schriftsteller, Übersetzer und Architekt in Wien.