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Internationale Kritik an Chodorkowski-Urteil

Von WZ Online

Politik

Moskau: Richter sollten sich nicht "vom Ausland" beeinflussen lassen. | Die Bekanntgabe des Strafmaßes für den russischen Kreml-Kritiker und früheren Öl-Milliardär Michail Chodorkowski ist im Westen auf scharfe Kritik gestoßen. Die USA bezeichneten die erneute Verurteilung am Donnerstag als "Missbrauch" des Rechtssystems, die Europäische Union zeigte sich "ernsthaft besorgt".


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Ein Moskauer Gericht hatte Chodorkowski und seinen mitangeklagten Geschäftspartner Platon Lebedew am Donnerstag zu 14 Jahren Haft verurteilt.

Das Urteil "lasse ernsthafte Fragen über die selektive Anwendung des Gesetzes aufkommen", sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums am Donnerstag in Washington. Der Fall sei beispielhaft für politisch motivierte Strafverfolgung. Die US-Regierung sei besorgt über die Berichte über schwerwiegende Verstöße gegen rechtsstaatliche Normen während des Prozesses in Moskau, sagte Außenamtssprecher Mark Toner. Die russische Wirtschaft werde sich nur entwickeln, wenn es auch ein unabhängiges Justizwesen gebe. Die deutsche Regierung bezeichnete das Urteil als Rückschritt auf dem von Präsident Medwedew eingeschlagenen Weg der Modernisierung Russlands. Prozessbeobachter prangerten zahlreiche Ungereimtheiten im Strafverfahren an.

EU besorgt

Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte in Brüssel, die Europäische Union erwarte, dass Russland seinen internationalen Verpflichtungen nachkomme. Die EU sei "ernsthaft besorgt" und werde die Situation von Chodorkowski und Lebedew weiter "aufmerksam" verfolgen. Der Präsident des EU-Parlaments, Jerzy Buzek, zeigte sich "sehr enttäuscht". Das Urteil zeige die Grenzen des Rechtsstaates in Russland auf. Der Fall Chodorkowski sei ein "Symbol für alle Probleme" innerhalb des russischen Justizsystems, erklärte Buzek.

Die britische Regierung rief Russland auf, die "Prinzipien des Rechtsstaates" zu respektieren. Das Verfahren gegen Chodorkowski werde von Großbritannien und einem Großteil der internationalen Gemeinschaft als "Rückschritt" angesehen, erklärte Außenminister William Hague am Donnerstagabend in London. In Frankreich rief eine Sprecherin des Außenministeriums Russland auf, den "Sorgen" hinsichtlich seines Justizsystems Rechnung zu tragen. "Die Konsolidierung des Rechtsstaates ist eine notwendige Bedingung für den Erfolg des Modernisierungsprozesses in Russland", hieß es.

Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit

Das Urteil zeige, dass der Prozess "politisch motiviert" gewesen sei, übte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) Kritik an der langjährigen Haftstrafe Chodorkowskis. Das am Donnerstag verkündete Strafmaß sei ein "Schlag gegen die Rechtsstaatlichkeit in Russland". Der Prozess habe gezeigt, dass die Probleme des russischen Justizsystems "tief verwurzelt" seien, erklärte HRW.

Russland weist Kritik zurück

Russland wies die internationale Kritik an dem Prozess erneut zurückgewiesen. "Russlands Gerichte sind weder von ausländischen noch von russischen Behörden abhängig", sagte Außenminister Sergej Lawrow am Freitag nach Angaben der Agentur Interfax in Moskau. "Falls dieses Urteil jemanden stark beunruhigt, so will ich daran erinnern, dass jeder Angeklagte Widerspruch einlegen kann." Lawrow appellierte an die Richter des Riesenreichs, sich "nicht vom Ausland beeinflussen zu lassen".

Der 47-jährige Chodorkowski war verurteilt worden, weil er 218 Millionen Tonnen Öl abgezweigt und illegal weiterverkauft haben soll. Der frühere Öl-Magnat und sein Geschäftspartner Lebedew waren in einem ersten Prozess bereits wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt worden, die im kommenden Jahr abgelaufen wäre. Da die erste Haftzeit angerechnet wird, müssen beide voraussichtlich bis 2017 im Gefängnis bleiben.

Chodorkowski war in der Ära des "Raubtierkapitalismus" nach dem Ende der Sowjetunion 1991 mit undurchsichtigen Mitteln zum reichsten Mann Russlands aufgestiegen. Er hatte in den Jahren vor seiner Verhaftung immer deutlicher Kritik an Putins Regierung geübt und darüber hinaus Oppositionsparteien unterstützt.

Der einst reichste Mann Russlands war bereits zu Wochenbeginn schuldig gesprochen worden. Chodorkowski sitzt seit 2003 im Gefängnis. (APA/AFP/dpa)

Chodorkowski erst 2017 in Freiheit