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Internationale Truppe für Afghanistan sucht Führung

Von Thomas Seibert

Politik

Istanbul - Von einem Massenandrang bei der Anmeldung für die nächste "Führungsnation" der internationalen Afghanistan-Truppe ISAF kann wirklich keine Rede sein. Während die deutsche Regierung ihre Bereitschaft zur Übernahme des ISAF-Kommandos zuerst andeutete und dann wieder zurückzog, drückte sich auch die Türkei um eine klare Stellungnahme zu dem Thema "Führungsnation" herum. Die Gespräche seien noch nicht abgeschlossen, heißt es in der türkischen Regierungskoalition. Es gebe in dieser Frage aber keinen "Wettbewerb" zwischen der Türkei und Deutschland. Das ist eine höfliche Untertreibung: Das Gegenteil trifft eher zu.


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Mehr als einen Monat nach der Ankunft der ersten britischen Soldaten in Kabul ist die Zukunft der Afghanistan-Truppe noch ungeklärt. Die Regierung in London will das Kommando nach drei Monaten wieder abgeben. Bis dahin sollte die nächste "Führungsnation" längst feststehen und Zeit gehabt haben, sich mit der Entsendung von Personal und Material auf die Aufgabe vorzubereiten. Doch noch ist nichts entschieden, und die Zeit wird langsam knapp.

Als einziges moslemisches NATO-Land schien die Türkei lange Zeit die naheliegendste Kandidatin für die Nachfolge der Briten zu sein. Dies trifft sich mit dem Anspruch der Türkei, als islamischer, aber gleichzeitig säkulärer Staat ein Vorbild für das neue Afghanistan zu sein. Mit der Kommandoübernahme wäre auch ein Prestige-Gewinn für die Türkei verbunden. Schließlich würde ein türkischer General in diesem Fall auch Soldaten aus Deutschland und anderen führenden westlichen Nationen befehligen. Die Türken verfügen über eine gut ausgebildete Armee, internationale Erfahrung mit Friedenstruppen von Somalia bis Kosovo haben sie auch.

Aber sie haben auch Geldsorgen. Mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten würde die Stationierung vieler hundert Soldaten in einer entlegenen Weltgegend neue Löcher in den türkischen Staatshaushalt reißen. In der türkischen Koalition wird diese Sorge zwar heruntergespielt, doch Ministerpräsident Bülent Ecevit selbst sprach die Finanzprobleme vor kurzem öffentlich an. Außerdem ist den Türken nicht entgangen, dass sich insbesondere beim Nachbarstaat Iran die Begeisterung über ein türkisches Truppenkommando sehr in Grenzen hält. Und dass die neu installierte Regierung in Kabul lieber die Deutschen als die Türken auf dem Kommandoposten sehen würde, ist offensichtlich.

Wie es in Ankara heißt, sondieren Vertreter der Türkei in ihren Gesprächen mit den Briten und anderen vor allem die Frage, was in Kabul im Frühjahr zu tun sein dürfte, welche Vollmachten der ISAF zur Verfügung stehen und welche Länder dann noch mit von der Partie sind. An der grundsätzlichen Bereitschaft der Türkei zur Übernahme des Kommandos besteht kein Zweifel, aber die finanziellen und politischen Probleme wiegen schwer. Außerdem will die Türkei offiziell gefragt werden. Das was zunächst offenbar nicht der Fall.

Deshalb ist Ankara auch bei der Truppenentsendung äußerst vorsichtig. Anders als Deutschlands, das schon rund 200 Soldaten in Kabul stationiert hat, geht die Verlegung der türkischen Truppen sehr langsam vonstatten. Nach der Entsendung einer Vorhut von 20 Soldaten sollen in den kommenden Wochen rund 200 weitere nach Afghanistan geschickt werden. Diese schwache Präsenz vor Ort erschwert die Vorbereitung auf eine mögliche Führungsrolle Ankaras noch weiter.