Brüssel/Warschau - Die von Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder und Frankreichs Präsident Jacques Chirac erzielte Einigung über die Agrarzahlungen löste in Polen Erleichterung aus. Von Euphorie im größten EU-Beitrittswerberstaat konnte dennoch nicht die Rede sein. Denn einige Fragen zur Finanzierung der Erweiterung bleiben noch offen - auch wenn nach dem Sondergipfel in Brüssel der Weg freigemacht wurde für den Abschluss der Erweiterungsverhandlungen im Dezember in Kopenhagen.
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So überraschend die Einigung in Brüssel, so erwartungsgemäß positiv die Resonanz in Warschau: "Brüssel öffnet sein Portemonnaie" titelte die Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" nach den Gesprächen über die Agrarsubventionen für die Kandidatenstaaten.
Die EU-Kommission veranschlagte für die Erweiterung Gesamtausgaben von 42,5 Milliarden Euro in den Jahren 2004 bis 2006. Der Beitrag der zehn neuen EU-Staaten würde in diesem Zeitraum 15,5 Milliarden Euro betragen. Von den überbleibenden 27 Milliarden könnte Polen rund die Hälfte erhalten. Aus den Strukturfonds sollen insgesamt 23 Milliarden an die neuen Mitgliedstaaten ausbezahlt werden.
Von Vorfreude war in Warschau aber nur wenig zu spüren: Allzu groß war vielerorts das Unverständnis, dass eine Erweiterung der Union wegen "minimaler Zusatzkosten" verzögert werden könnte. Denn einerseits würde laut aktueller Berechnungen der EU-Kommission die Erweiterung jede/n EU-Bürger/in in den ersten drei Jahren lediglich 23,9 Euro jährlich zusätzlich kosten. Auf der anderen Seite musste Polen befürchten, im ersten Jahr nach seinem Beitritt zur Union zu einem Nettozahler zu werden.
Zwar zeigten sich die meisten KommentatorInnen in Polen zuversichtlich, dass eine Einigung zwischen den EU-Mitgliedsstaaten in der Frage der umstrittenen Agrarsubventionen zustande kommen müsse. Doch das war erst der Anfang der Verhandlungen über eine Finanzierung der Erweiterung. Es sei noch zu früh, um in Euphorie zu verfallen, kommentierte denn auch der polnische Landwirtschaftsminister Jaroslaw Kalinowski.
Polens Europaministerin Danuta Hübner erklärte zuvor gegenüber der "Rzeczpospolita": "Ich hoffe, dass die Oberhäupter der EU-15 uns erlauben, Verhandlungen auf Basis der Vorschläge der Europäischen Kommission zu führen." Wiederholt brachte sie ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass die EU-Erweiterung nun nicht mehr aufzuhalten sei.
Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski zeigte sich im Gespräch mit der polnischen Presseagentur PAP erleichtert. Denn nach der Zitterpartie, die das Referendum in Irland mit sich brachte, war die Unsicherheit gefolgt, ob sich Deutschland und Frankreich einigen würden. "Und am Ende des Weges wird sich herausstellen, dass wir selbst für uns das größte Problem sind", meinte er in Anspielung auf die Volksabstimmung zum EU-Beitritt, die kommendes Jahr in Polen durchgeführt wird. Doch auch diese Hürde werde erfolgreich genommen werden, gab sich Kwasniewski überzeugt.