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Gerichtshof für Menschenrechte kippt die Sicherheitsverwahrung. | Polizeivertreter fordern Online-Datei. | Berlin. "Raus du Sau!" stand auf einem Plakat. Die Sau - damit meinte man Karl D. Bis zu 100 Menschen demonstrierten zu Spitzenzeiten gegen ihn: Der heute 59-Jährige hatte drei Schülerinnen vergewaltigt. Zwanzig Jahre lang war er dafür eingesperrt. Vor eineinhalb Jahren wurde er entlassen.
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Karl D. zog zu seinem Bruder nach Heinsberg, in eine Stadt mit 40.000 Einwohnern im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Landrat Stephan Pusch informierte die Bürger: Der Schutz der Bevölkerung gehe vor den Schutz der Privatsphäre des einstigen Täters. Und die Gutachter hätten dem Mann hohe Gefährlichkeit und ein hohes Rückfallrisiko attestiert.
Was macht man mit früheren Schwerverbrechern wie Karl D.? Darüber wird in Deutschland seit Tagen gestritten. An den Pranger, mit Namen und Anschrift ins Internet, fordern der Chef der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt sowie Teile von CDU und CSU. "Wegschließen - und zwar für immer", hatte 2001 der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) in der "Bild am Sonntag" erklärt. Doch ein einstiger Täter, der seine Strafe verbüßt hat, kann nicht anschließend auf unbestimmte Zeit im Gefängnis bleiben.
Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im vorigen Dezember erklärt. Die deutsche Regierung muss deshalb nun ein Gesetz ausarbeiten, das diesem Urteil entspricht. Denn seit 1998 ist die sogenannte Sicherungsverwahrung zeitlich unbeschränkt, davor endete sie nach zehn Jahren. In den kommenden Wochen müssen nun dutzende ehemalige Straftäter auf freien Fuß gesetzt werden, fünfzehn sind bereits entlassen.
Der CDU gefällt das gar nicht: "Wer gefährlich ist, der muss wieder hinter Schloss und Riegel", erklärte etwa Innenminister Thomas de Maiziere in der "Bild". Er spricht sich für eine Sicherungsunterbringung aus, denn eine solche sei "kein Gefängnis und keine Psychiatrie". Von dem Vorschlag der Justizministerin hält de Maiziere wenig: Sabine Leutheusser-Schnarrenberg von den Liberalen ist - so wie die Grünen - für elektronische Fußfesseln. Diese, so de Maiziere, sagten aber "ja nur, wo sich jemand aufhält, aber nicht, was er tut". Die Forderung nach dem "Internetpranger" geht auch ihm dagegen zu weit.
In Heinsberg wird Karl D. rund um die Uhr von der Polizei überwacht. Laut dem Polizeigewerkschafts chef Wendt wären 5000 Polizisten nötig, um jene 70 bis 80 einstigen Schwerverbrecher zu observieren, die demnächst freikommen.
Bandion-Ortner gegen Sicherheitsverwahrung
(zaw) Für Österreich lehnt Justizministerin Claudia Bandion-Ortner eine Sicherungsverwahrung entlassener Straftäter nach verbüßter Haft ab. Es gebe "andere Instrumente", etwa eine gerichtliche Aufsicht oder verpflichtende Therapien, sagt die Ministerin auf Anfrage der "Wiener Zeitung". Eine allgemein zugängliche Sexualstraftäterdatei im Internet lehnt Bandion-Ortner ebenfalls ab. Ein solcher mittelalterlicher Pranger könnte zu Akten von Lynchjustiz führen, wie teilweise in den USA passiert.