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Interview: "Das geht gegen jede Einheitlichkeit Europas"

Von Reinhard Göweil

Europaarchiv
© © © Die Fotografen IBK

Univ. Prof. Walter Obwexer zu den Beschlüssen des EU-Gipfels.


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"Wiener Zeitung": Es wird immer wieder von rechtlichen Problemen bei der Lösung der Euro-Krise gesprochen. Was ist darunter zu verstehen?

Obwexer: Wenn 23 Länder beschließen, einen Vertrag zu einer Fiskal-Union zu machen, und dabei sollen der Europäische Gerichtshof, die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank Zuständigkeiten haben, so benötigen sie die Zustimmung aller 27 Mitgliedsländer. Denn all die Genannten sind EU-Institutionen, sie stehen allen Ländern zur Verfügung. EU-rechtlich müssen alle 27 Mitgliedsländer diese 23 ermächtigen, diese Organe zu verwenden.

Die Briten haben schon gesagt, dass sie beim Zusammenschluss der Euro-Zone nicht mitmachen. Sie könnten aber darüber hinaus die jetzigen Gipfelbeschlüsse also auch noch kippen?

Rechtlich betrachtet, ja. Bei all diesen Beschlüssen gilt in der EU die Einstimmigkeit, und wenn einer dagegen ist, findet es nicht statt.

Aber wenn alle 27 diesem Beschluss zustimmen, dann könnte es EU-Recht werden?

Ja.

Was ist, wenn die Briten diese Veto-Keule noch einmal auspacken, und sich die Zustimmung zur Euro-Lösung auch noch abkaufen lassen? Etwa durch Begünstigungen für den Finanzplatz London?

Was Sie Veto-Keule nennen, ist eben das Prinzip der Einstimmigkeit. Die Briten müssen nicht mitmachen, aber sie sind EU-Mitglied. Was sie damit anstellen, ist Sache politischer Verhandlungen.

Beim dauerhaften Rettungsschirm, genannt ESM, sollen - so die Beschlüsse von der Nacht auf Freitag - Kommission und EZB feststellen, ob und wann eine finanzielle Assistenz notwendig ist. Wenn die Briten selbst dies noch blockieren könnten, wäre das doch eine Katastrophe . . .

Ja, das wäre eine Katastrophe. Und ist daher wohl Teil des politischen Pokers, der zu beobachten ist.

Könnten die Briten auch die Finanztransaktionssteuer blockieren, obwohl sie gar nicht mitmachen?

Steuern unterliegen der Einstimmigkeit. Sie ins EU-Recht aufzunehmen, ist also nicht möglich. Die Finanztransaktionssteuer geht nur dann, wenn jedes Land, das sie einführen möchte, dies über die nationalen Parlamente beschließt. Wenn sich also die 17 Euroländer darauf verständigen, dann muss sie 17 Mal beschlossen werden.

Das Europäische Parlament bekommt die Materie Transaktionssteuer also gar nicht zu Gesicht?

Nein. Das EU-Parlament hat dabei keinerlei Funktion. Es kommt in den vorläufigen Schlussfolgerungen des EU-Gipfels auch nicht vor. Das Europäische Parlament ist nur in die europäische Gesetzesmaterie eingebunden. Aber dies sind sogenannte zwischenstaatliche Verträge eines Teils der EU-Mitglieder.

Wenn die Euroländer nun die Europäische Bankenaufsicht aus London wieder abziehen möchten, ist dies möglich?

Ja, das ist möglich, denn dies war ein normaler Ratifizierungsprozess. Und zur Änderung genügt nun ein Mehrheitsbeschluss.

Da dieser Haushaltspakt nun kein EU-Vertrag wird, benötigt es auch keine Volksabstimmung - etwa in Österreich. Richtig?

Ja, das stimmt. Solche Beschlüsse können im heimischen Nationalrat mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Sollte aber eine Verfassungsbestimmung betroffen sein, müsste zuerst - mit Zweidrittelmehrheit - die Verfassung geändert werden. Erst dann kann sie der Nationalrat mit einfacher Mehrheit beschließen.

Bedeuten die jetzigen Beschlüsse die Spaltung Europas?

Es geht in Richtung eines Europa der zwei Geschwindigkeiten, aber die EU-Verträge sehen diese Möglichkeiten vor. Es ist keine Spaltung, aber es geht gegen jede Einheitlichkeit.

Zur Person
Walter Obwexer

Der 46-Jährige lehrt Europäisches Verfassungsrecht und Europäisches Wirtschaftsrecht sowie Völkerrecht an der Universität Innsbruck.