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Interview mit Erhard Busek: "Kroatien ist weiter als Rumänien"

Von Martyna Czarnowska und Sissi Eigruber

Europaarchiv

Während die EU-Beitrittswünsche der Türkei große Aufmerksamkeit erregen, finden die Bestrebungen der südosteuropäischen Länder kaum Beachtung in der öffentlichen Diskussion. Zu unrecht, meint Erhard Busek, Koordinator für den Südosteuropa-Stabilitätspakt. Denn es gebe die klare Festlegung der Europäischen Union, dass die Länder Südosteuropas mögliche Beitrittskandidaten sind. Und das stehe auch im Stabilitätspakt, betont Busek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".


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"Ich halte nichts von einer Dezentralisierung oder Kantonisierung des Kosovo. Die Grenzen zu ändern, hieße die Büchse der Pandora zu öffnen."

"Wiener Zeitung": Der Stabilitätspakt für Südosteuropa existiert seit bald fünf Jahren. Was wurde in dieser Zeit erreicht, und wo sehen Sie Schwächen?

Erhard Busek: Die letzten Wahlen sind korrekt abgelaufen, die Demokratisierung ist ein irreversibler Prozess, auch wenn die Parteienlandschaft nicht stabil ist. Die Gesetzgebung ist in einigen Bereichen bereits gut. Die Praxis bleibt aber problematisch, wie zum Beispiel bei den Menschen- und den Minderheitenrechten. Es hat Kriege gegeben, in denen Vergewaltigungen eine Art der Machtdemonstration waren, wo das quasi Männer-Recht war. Da liegt ein weiter Weg vor uns.

"Wiener Zeitung": Ein weiteres Problemfeld ist die Infrastruktur. Wie steht es um ihren Wiederaufbau?

Erhard Busek: 80 Prozent der Projekte des Stabilitätspakts sind in Bau, für die restlichen 20 Prozent fehlen die Voraussetzungen. Es liegt an den betroffenen Ländern: Entscheidungen werden nicht getroffen, Projekte nicht korrekt ausgeschrieben - da kommt noch die Schwäche der Projektabwicklung heraus.

"Wiener Zeitung": Wie beurteilen Sie generell die wirtschaftliche Entwicklung in Südosteuropa?

Erhard Busek: Dabei ergibt sich ein geteiltes Bild: Relativ dynamisch entwickeln sich Rumänien, Bulgarien und Kroatien; die anderen sind aus den verschiedensten Gründen schwächer. In Mazedonien gibt es irgendwie kein Klima, in Bosnien-Herzegowina ist es immer noch ein geteilter Markt zwischen Republika Srpska und der Föderation, in Albanien geht es von einem sehr geringen Niveau aufwärts. Serbien und Montenegro leidet unter den politischen Umständen, dabei hatte es Ðinðic hervorragend begonnen (der serbische Ministerpräsident Zoran Ðinðic wurde am 12. März 2003 ermordet, Anm.). Was die Region erst langsam kapiert, ist, dass es keinen Sinn hat, wenn die Länder untereinander in Konkurrenz treten. Die Unternehmer wollen auf einen Markt mit 55 Millionen Menschen gehen, und nicht auf einen zersplitterten mit da zwei Millionen und dort fünf Millionen. Gelungen ist in der Region jedenfalls eine flächendeckende Bankenstruktur, was eine wichtige Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung ist. Was noch fehlt, ist die gesetzliche Sicherheit. Wenn ein Richter fünf Jahre für ein Urteil braucht, behindert das auch die Wirtschaft.

"Wiener Zeitung": Und wie schätzen Sie das Problem der Korruption in Südosteuropa ein?

Erhard Busek: Es gibt zwei Arten der Korruption: die "kleine Korruption", wo ein Polizist sagt, "sie sind zu schnell gefahren" und die Hand aufhält. Und es gibt die "große" Korruption in Politik und Wirtschaft. Insbesondere in Serbien hat sich ein Oligarchen-System entwickelt, eine kleine Kopie von Russland. Ðinðic wollte damit aufräumen, und das hat ihm sicher das Leben gekostet.

"Wiener Zeitung": Sehen Sie Fortschritte bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität?

Erhard Busek: Die Situation hat sich verbessert. Drogen, Waffen- und Menschenhandel kommen immer weniger aus diesen Ländern, aber sie gehen durch sie durch - das Gebiet wird also mehr und mehr zu einer "Transitregion".

"Wiener Zeitung": Zeichnet sich eine Aussöhnung zwischen ehemaligen Kriegsgegnern in Ex-Jugoslawien ab?

Erhard Busek: Versöhnung findet nicht statt. Es wird aber nicht mehr aufeinander geschossen, es sei denn es kommt zu Vorfällen wie vor wenigen Monaten im Kosovo. Das ist aber politisch instrumentalisiert.

"Wiener Zeitung": Wer hat etwas davon? Will Serbien tatsächlich Gebiete des Kosovo für sich beanspruchen?

Erhard Busek: Wenn ich mit Serben privat spreche, ist ihnen klar, dass der Kosovo eine verlorene Sache ist. Aber auf politischer Ebene konkurriert die Regierung mit radikalen, nationalistischen Parteien. Ich halte jedenfalls nichts von einer Dezentralisierung oder Kantonisierung des Kosovo. Das wäre eine Vorbereitung für eine Teilung. Die Grenzen zu ändern, hieße die Büchse der Pandora zu öffnen. Auch Grenzgebiete in Mazedonien und die Republik Srpska könnten von Serbien wieder beansprucht werden.

"Wiener Zeitung": Muss die Vorstellung von einem multiethnischen Kosovo endgültig verworfen werden?

Erhard Busek: Jetzt von einem multiethnischen Kosovo zu reden, ist wie Zukunftsmusik spielen. Die UNO kann die Lage nur so erhalten, wie sie ist. Das ist keine Zukunftsperspektive.

"Wiener Zeitung": Was ist eine Zukunftsperspektive für den Kosovo?

Erhard Busek: Die Modelle sind leicht aufgezählt: Unabhängigkeit des Kosovo, eine Dezentralisierung oder Kantonisierung, oder eine lose Union auf die Füße zu stellen. Aber von einer Lösung sind wir weit entfernt.

"Wiener Zeitung": Wie steht es um die Rückkehr von Flüchtlingen?

Erhard Busek: Die offizielle Philosophie ist die: Jeder Flüchtling soll dorthin zurück, wo er hergekommen ist. Aber die Frage ist, ob sie zurückkehren wollen und welche Lebensbedingungen sie dann vorfinden. Ich bin ein Anhänger des freien Willens.

"Wiener Zeitung": Welchen Zeitpunkt sehen sie als realistisch für einen EU-Beitritt Kroatiens an?

Erhard Busek: Ich bin ein Gegner dieser Termine, aber Kroatien ist weiter entwickelt als Rumänien und Bulgarien.

"Wiener Zeitung": Im Gespräch sind auch Verhandlungen mit der Türkei. Andere Länder haben ebenso EU-Beitrittsambitionen. Wo sehen Sie die Grenzen einer Erweiterung der Union?

Erhard Busek: Ich bin der Ansicht, dass es leichter und näher liegend wäre, sich mit Südosteuropa als mit der Türkei zu beschäftigen. In die Türkeifrage ist die EU "hineingerutscht", und es hat sich bis jetzt keiner gefunden, der "nein" gesagt hätte. Ich kann mir zwar schon vorstellen, dass die Türkei einmal EU-Mitglied wird, aber nicht jetzt. Bei der Erweiterung ist für mich Russland die Grenze. Alles andere ist eine Willensentscheidung.

Das Gespräch führten Martyna Czarnowska und Sissi Eigruber