Die Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union biete der Ukraine eine Chance für einen Neuanfang. Doch eine Beitrittsperspektive sei darin nicht enthalten. Benita Ferrero-Waldner, Kommissarin für Außenbeziehungen und Nachbarschaftspolitik, bekräftigt gegenüber der "Wiener Zeitung" den Standpunkt der Kommission. Mehr Aussicht auf EU-Beitrittsverhandlungen haben in naher Zukunft demnach Balkan-Staaten.
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"Wiener Zeitung": Was war anstrengender - der Bundespräsidentschaftswahlkampf in Österreich oder die ersten Wochen als EU-Kommissarin?
Benita Ferrero-Waldner: Es sind sehr unterschiedliche Dinge. Jetzt muss ich sehr viele Dokumente lesen, es ist viel Koordinationsarbeit, während ich im Wahlkampf mehr Begegnungen mit Menschen hatte. Es war beides anstrengend, aber beides war eine positive Herausforderung.
"Wiener Zeitung": Im Fall der Ukraine nimmt die EU-Kommission eine andere Haltung ein als das Europäische Parlament, das dem Land eine Beitrittsperspektive eröffnen möchte. Die Türkei hat eine, die Ukraine nicht. Warum?
Benita Ferrero-Waldner: Für die Ukraine ist es ganz wichtig, aufbauend auf den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen - die von der Ukraine nie ganz erfüllt wurden - eine neue Chance zu bekommen. Es ist erstaunlich viel in den Aktionsplänen, nur niemand liest sie und stattdessen soll sofort darüber hinausgegangen werden. Diese Aktionspläne sind aufgebaut auf einer Prioritätensetzung seitens des Landes.
"Wiener Zeitung": Dies wurde aber mit der Administration des ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma ausgehandelt.
Benita Ferrero-Waldner: Aus diesem Grund haben EU-Außenbeauftragter Javier Solana und ich die Initiative ergriffen, in vielen Punkten den Ukrainern zusätzlich entgegen zu kommen. Allerdings muss die Ukraine auch ihre Fortschritte machen. Denn Marktwirtschafts-Status kann die Ukraine derzeit noch nicht haben. Oder die Frage der WTO-Mitgliedschaft: Die Voraussetzungen dafür erfüllt das Land noch nicht. Das hätte es längst tun können. Doch nun hat es eine neue Chance, und das gibt Möglichkeiten für eine Freihandelszone. Darüber hinaus sprechen wir über Visa-Erleichterungen. All das sind Dinge, die die Ukraine anstrebt. Das Einzige, was die Nachbarschaftspolitik nicht vorsieht, ist ein Beitritt zur Europäischen Union. Diese Politik ist von den Mitgliedstaaten beschlossen worden.
"Wiener Zeitung": Auch die Türkei hat noch etliche Bedingungen nicht erfüllt, Kroatien darf ebenso nur unter Voraussetzungen Verhandlungen führen. Dennoch haben beide Länder eine Perspektive.
Benita Ferrero-Waldner: Diese Entscheidung haben die Mitgliedstaaten getroffen. Das eine war eine Entscheidung für den Beitritt, weil die Türkei seit 1964 einen kontinuierlichen Prozess in Richtung Europäische Union vollzieht. Aber es sind eine ganze Reihe von Bedingungen zur Eröffnung von Verhandlungen da. Es gibt auch das Kriterium, dass wir handlungsfähig bleiben müssen. Eine Garantie für den Ausgang der Gespräche gibt es also sicher nicht.
"Wiener Zeitung": Glauben Sie, dass bei all diesen Überlegungen die Balkan-Staaten aus dem Blickfeld geraten?
Benita Ferrero-Waldner: Vielleicht aus dem medialen. Aber ganz sicher nicht aus dem Arbeitsblickfeld. Ich weiß, dass intensiv mit den Ländern des West-Balkan gearbeitet wird. Es liegt nun an den Staaten selbst: Sie müssen umsetzen, was von ihnen verlangt wird. Die Detailbearbeitung macht mein Kollege (Erweiterungskommissar) Olli Rehn, weil es Länder mit einer EU-Perspektive sind. Diese ist ein Katalysator für Reformen.
"Wiener Zeitung": Können sich diese Länder mehr Hoffnungen auf einen Verhandlungsbeginn während Ihrer Funktionsperiode machen als die Ukraine?
Benita Ferrero-Waldner: Realistisch sind Verhandlungen mit einigen Balkan-Staaten, weil das ja schon vorgesehen ist. Mazedonien hat den Antrag bereits gestellt, und irgendwann wird man darüber bestimmen. Die Perspektive ist für alle Balkan-Staaten grundsätzlich gegeben. Diese Grundsatzentscheidung ist gefallen.
Das Gespräch führte Martyna Czarnowska