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Interview mit FSLN-Mitbegründer Borge: Demokratie als Chance

Von Werner Hörtner, Managua

Politik

Vor genau 40 Jahren wurde in Nicaragua die Sandinistische Befreiungsfront gegründet, die 1979 die Somoza-Diktatur stürzte. Tomás Borge ist der einzige aus der Gründungsriege, der die Jahre der Diktatur und des Aufstands dagegen überlebte. Mit dem langjährigen Innenminister der FSLN-Regierung und heutigen Stellvertretenden Generalsekretär der Partei sprach in Managua Werner Hörtner.


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Seit dem Amtsantritt von Enrique Bolanos als Staatschef von Nicaragua im Jänner des Vorjahres kommen immer neue Enthüllungen über Missbrauch von Staatsgeldern und weitverzweigte Korruption durch seinen Vorgänger Arnoldo Alemán und dessen Freundeskreis ans Tageslicht. An die 100 Mill. Dollar soll der frühere Präsident jenes Landes, das zusammen mit Haiti am untersten Rand der Armenstatistik Amerikas angesiedelt ist, unterschlagen haben. Insgesamt ist aber der Verbleib von 600 Mill. Dollar, die durch Privatisierungen in den Staatssäckel flossen, ungeklärt.

Der Poker um die Machtablöse

Die ganze fünfjährige Amtsperiode diente Bolanos dem schwergewichtigen Arnoldo Alemán als Vizepräsident - und als Vorsitzender der Antikorruptions-Kommission. In dieser Zeit sind ihm keine Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung der Staatsgelder aufgefallen. Erst bei seiner Amtseinführung am 10. Jänner 2002 sprach der neue Regierungschef von "moralischer Erneuerung", von Kampf gegen Korruption und Machtmissbrauch. Das ganze vergangene Jahr stand dann unter dem Zeichen schrittweiser Enthüllungen über den Aufbau einer unglaublichen Betrugsmaschinerie durch Arnoldo Alemán und seine Getreuen. Doch der Ex-Präsident fühlte sich vor strafrechtlicher Verfolgung sicher. Durch eine Verfassungsänderung im Rahmen des so genannten "Paktes", eines Abkommens zwischen Alemán und Sandinistenführer Daniel Ortega, wird jeder Staatschef nach dem Amtsende automatisch Abgeordneter auf Lebenszeit. Ganz offensichtlich eine Rechtsbeugung in eigener Sache: Alemán wusste, was auf ihn zukommen kann - und Ortega sah sich mit einer Klage seiner Stieftochter Zoilamérica wegen sexuellen Missbrauchs konfrontiert.

Schon im März des Vorjahres hatte eine mutige Richterin die Aufhebung der parlamentarischen Immunität des ehemaligen Präsidenten verlangt, um ein Strafverfahren einleiten zu können. Doch die "Arnoldistas" - Alemáns Anhänger - kontrollieren die Hälfte des Abgeordnetenhauses und konnten dadurch ihren Chef lange Zeit schützen. Erst Mitte Dezember sprach sich nach einem krimireifen Manöver eine hauchdünne Mehrheit - 47 zu 46 Stimmen - für eine Aufhebung der Immunität Alemáns aus. Nun konnten die Prozesse beginnen. In zwei Fällen wurde der frühere Staatschef bereits verurteilt (die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig) und befindet sich derzeit auf einer seiner zahlreichen Haciendas unter Hausarrest. Doch sang- und klanglos wurden mittlerweile alle anderen in Zusammenhang mit dem Korrumptionssumpf der Alemán-Administration Inhaftierten wieder freigelassen; nur Alemáns Intimus Byron Jérez, ehemaliger Direktor der staatlichen Einnahmens-Behörde, ist rechtmäßig verurteilt.

Arnoldo Alemán hält "seine" Partei, die Liberalen, fest in der Hand: 45 liberale Abgeordnete stehen fest auf seiner Seite, nur 9 halten zu Bolanos, so dass sich dieser immer wieder gezwungen sieht, den sandinistischen Erzfeind Ortega um die Unterstützung seiner 38 Abgeordneten zu bitten. Alle Versuche des gegenwärtigen Staatschefs, in seiner eigenen Partei eine Mehrheit zu erzielen, sind bisher gescheitert. Nicht einmal die Korruptionsanklagen gegen Alemán konnten dessen Position erschüttern. Dieser brachte kürzlich die Antikorruptions-Kampagne seines Amtsnachfolgers auf einen prägnanten Punkt: "Dieser Alte (Bolanos; Anm.) will mir ja nur die Partei wegnehmen".

Die Sandinisten auf Standortsuche

Die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN), seit ihrer Wahlniederlage 1990 die zweite politische Kraft im Lande, steht im Vorfeld eines Parteikongresses am 3. und 4. Mai, der der Frage "Wahlstrategie und Bündnispolitik" gewidmet ist. Hier sollen bereits die Weichen für die Kommunalwahlen Ende 2004 und die Präsidentschaftswahlen zwei Jahre später gestellt werden. An der Parteibasis herrscht ein starker Wunsch nach Veränderung, doch hält das Führungsduo Daniel Ortega - Tomás Borge (siehe nebenstehendes Interview) immer noch straff die Zügel in der Hand.

"Viele von uns wollen ein neues Führungsteam, doch findet sich niemand, der neben Daniel Ortega um den Posten des Generalsekretärs kandidieren will", so ein nicht genannt werden wollender FSLN-Veteran. Alejandro Martínez Cuenca, Außenhandelsminister der sandinistischen Revolutionsregierung der 80er-Jahre, lässt seit kurzem ein Dokument über eine neue Wahlstrategie der Sandinisten zirkulieren, in dem er die Durchführung echter parteiinterner Vorwahlen und eine breite Bündnispolitik vorschlägt und seiner Partei unter anderem das "Unterschätzen der eigenen Fehler" vorwirft. Der Parteikongress Anfang Mai wird zeigen, ob seine Vorschläge auch tatsächlich ernst genommen werden.

Parteichef Ortega zeigt auch nach drei verlorenen Wahlen keine Bereitschaft zu einer umfassenden personellen Erneuerung der FSLN. Er setzt nunmehr auf den "Lula-Effekt": Auch der brasilianische Arbeiterführer habe erst im vierten Anlauf den Sprung ins Präsidentenamt geschafft, so Ortega, der schon nach dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 elf Jahr lang die Regierungsgeschäfte leitete.

Interview mit FSLN-Mitbegründer Borge: Demokratie als Chance

Vor genau 40 Jahren wurde in Nicaragua die Sandinistische Befreiungsfront gegründet, die 1979 die Somoza-Diktatur stürzte. Tomás Borge ist der einzige aus der Gründungsriege, der die Jahre der Diktatur und des Aufstands dagegen überlebte. Mit dem langjährigen Innenminister der FSLN-Regierung und heutigen Stellvertretenden Generalsekretär der Partei sprach in Managua Werner Hörtner.

Wie sehen Sie, als Mitbegründer und historischer Führer der FSLN, den heutigen Zustand der Partei?

Borge: Nach den verlorenen Wahlen von 1990 kamen die Regierungen von Violeta de Chamorro, Arnoldo Alemán und dem jetzigen Präsidenten Enrique Bolanos. Heute ist die Frente sehr stark und in allen Regionen des Landes machtvoll präsent. Man kann sagen, dass sie neuerlich in eine Periode des revolutionären Aufschwungs eingetreten ist, mit ernsthaften Chancen, die nächsten Wahlen zu gewinnen.

Nach der Wahlniederlage von 1990 hat die Frente mit ihrem Führer Daniel Ortega eine starke Opposition, eine "Gegenregierung von unten" versprochen ...

Das war nur Rhetorik.

... aber was dann gefolgt ist, war vielmehr ein "Co-gobierno", eine Zusammenarbeit mit der jeweiligen Regierung ...

Nein, es hat nie ein Co-gobierno gegeben, sondern nur ein Abkommen mit Alemán und seiner Partei, um Reformen u.a. im Bereich des Wahlrechtes durchzuführen. Es gab nie eine Mit-Regierung, wir haben aber auch nicht von unten regiert. Wir hatten in diesem Moment an Machteinfluss verloren.

Ziemlich viele Menschen in Nicaragua sagen, dass sich die Frente in moralischer und personeller Hinsicht erneuern müsste. Wie schätzen Sie diese Forderung ein?

Es hat ja eine konstante Veränderung in der Sandinistischen Partei gegeben. Außer Daniel Ortega und mir wurden die meisten Mitglieder der Führung ausgetauscht und die Anzahl der Mitglieder erhöht. Es gab also alle Anstrengungen, um die Frente Sandinista in ethischer, politischer und ideologischer Hinsicht zu stärken.

Anfang Mai wird ein Parteikongress der FSLN zum Thema "Wahlstrategie und Bündnispolitik" tagen. Sie sind Mitglied des Vorbereitungskomitees. Sind wesentliche Neuerungen zu erwarten?

Wir diskutieren nicht nur die Bündnispolitik, sondern auch die Consulta popular, die Volksbefragung zur Auswahl der Kandidaten der Partei. Diese war bisher die Ursache für viele Probleme. Wir wollen zu einer demokratischeren Auslese gelangen, zu einem weniger pragmatischen und mehr wirklichkeitsnahen Auswahlmodus.

Die Politik des Präsidenten Ernesto Bolanos ist radikal neoliberal und steht klar in völligem Widerspruch zur Ideologie der FSLN. Ich frage mich, wieso die Sandinisten jetzt nicht diese Regierung zu Fall bringen, denn zusammen mit den Bolanos-Gegnern in dessen eigener Partei, also den Alemán-Anhängern, die die große Mehrheit in der Liberalen Partei darstellen, wäre das überhaupt kein Problem. Habt ihr Angst vor Neuwahlen?

Wir denken, dass für eine wirkliche Erholung der politischen Lage im Land die Aufrechterhaltung der Stabilität sehr wichtig ist. Ein Sturz der Regierung wäre sehr gefährlich und in politischer Hinsicht äußerst riskant. Eine Ablösung der Regierung sollte nur durch Wahlen erfolgen.

Gehen wir kurz zur Weltpolitik über. Was ist Ihrer Meinung nach der wirkliche Grund des Krieges der USA gegen den Irak?

Nun, die Vereinigten Staaten versuchen eben in einer messianischen Form, die Welt zu beherrschen: das Erdöl, die politische Macht. Das führt sie zu einer Reihe unüberbrückbarer Widersprüche mit Europa, dessen Wirtschaft ja auf dem Euro basiert und nicht auf dem Dollar. Letzten Endes handelt es sich um eine große Auseinandersetzung mit Europa, deren Opfer das irakische Volk ist.

Es ist also ein Kampf um die weltweite Vorherrschaft?

Ja, der Kampf um eine Hegemonie, die sie gefährdet sehen.