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Seit 14 Jahren leitet Günter Woratsch das Landesgericht für Strafsachen Wien. Ein Blatt vor den Mund nahm er sich in dieser Zeit nie - seine Aussagen gegenüber Innen- und Justizministern, Journalisten oder Kollegen waren in der Regel unmissverständlich und oftmals beinhart. Mit Ende des Jahres tritt Woratsch in den Ruhestand.
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"Wenn ich schon diesen Monat gegangen wär', hätt' ich später acht bis zehn Euro mehr Pension", da er aber bis zum Schluss bleibe, nehme man ihm noch etwas weg, wundert sich Woratsch gleich am Beginn des Interviews: "Ich möchte wissen, welcher Idiot sich solche Regelungen einfallen lässt."
Günter Woratsch ist ein Freund deftiger Formulierungen. Als SP-Innenminister Karl Schlögl in der Briefbombenaffäre den U-Richter zur Einvernahme eines Verdächtigen drängen wollte, bestellte Woratsch Schlögl, er habe sich nicht einzumischen, "weil das den Herrn Minister nichts angeht". Als das Graue Haus mit großflächigen Werbeplakaten verhüllt werden sollte, sah Woratsch das Ansehen der Justiz in Gefahr. Und angesichts von Sparmaßnahmen in der Justiz bescheinigte Woratsch Ex-FP-Justizminister Dieter Böhmdorfer "Konzeptlosigkeit, Dilettantismus und Widersprüchlichkeit". Woratsch eilte der Ruf voraus, ein strenger aber gerechter Richter zu sein. Modernen Alternativen zur Haft begegnete der Ehrenpräsident der Internationalen Richtervereinigung, der sich intensiv für den Aufbau der Justiz in Osteuropa nach der Wende einsetzte, mit Skepsis. Jetzt ist für den 65-Jährigen das letzte Monat seiner Karriere angebrochen - und er wird es auskosten. Woratsch: "Ich bleibe bis zum Ende - vielleicht kann ich noch jemanden ärgern."
"Wiener Zeitung": Herr Präsident, sind Sie heute der selbe Richter wie vor 40 Jahren?
Günter Woratsch: Ich habe heute mehr Erfahrung. An meiner Grundeinstellung hat sich nichts geändert. Es geht um starke richterliche Unabhängigkeit bei gleichzeitiger höchster Verantwortung.
"Wiener Zeitung": Sind Sie ein strenger oder ein milder Richter?
Günter Woratsch: Ich lehne diese Qualifizierungen ab. Das sind subjektive Wertungen von außen. Für mich ist das Idealbild der gerechte Richter.
"Wiener Zeitung": Sind die Menschen mehrheitlich gut oder böse?
Günter Woratsch: Sehr wenige sind absolut schlecht, sehr wenige sind absolut gut. Vorsicht und Misstrauen sind für den Richter maßgeblich. Bei Leuten, die als besonders gut auftreten, ist besonderes Misstrauen angezeigt.
"Wiener Zeitung": Denken Sie, dass der Richter die Welt besser machen kann?
Günter Woratsch: Der Richter ist nicht dazu da, die Gesellschaft zu ändern und ich weiß nicht, ob das überhaupt möglich ist. Wenn, dann ist dazu der Gesetzgeber berufen. Aufgabe der Richter ist die Bewahrung des Rechtsfriedens.
"Wiener Zeitung": Richter protestieren derzeit u.a. für mehr Richterplanstellen, gegen Pensionsharmonisierung und kleinere Richtersenate. Welcher justizpolitische Vorstoß stört Sie am meisten?
Günter Woratsch: Keines von den angesprochenen Beispielen allein. Es geht mir um die Gesamtsituation und die ist symptomatisch für den Status der Dritten Staatsgewalt in Österreich. Da sind wir nämlich Schlusslicht in Europa. Wenn die Rechtsprechung in diesem Land noch immer sehr gut ist, dann nicht wegen sondern trotz der Bemühungen von Exekutive- und Legislative.
"Wiener Zeitung": Was meinen Sie konkret?
Günter Woratsch: Derzeit haben wir ein System, in dem die Verwaltung die Rechtsprechung dominiert: ich sage nur Planstellenzuteilung, finanzielle Ausstattung, Besetzung. Der Justizminister hat die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Dabei ist nicht entscheidend, ob er es wirklich tut oder nicht, sondern dass er es überhaupt tun kann. An der Spitze der Justizverwaltung sollte - so wie in Italien oder in den Reformstaaten - ein oberster Richterrat stehen.
"Wiener Zeitung": Was werden Sie im Ruhestand unternehmen?
Günter Woratsch: Mit Sicherheit werde ich mich nicht mehr mit juristischen Problemen beschäftigen. Ich werde aber international weiter tätig sein.
"Wiener Zeitung": Werden Ihnen die Streitereien fehlen?
Günter Woratsch:Ich bin kein Streithansl. Ich streite nur dort, wo es ums Prinzip geht. Sonst kann man mit mir über alles reden.