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Die türkischen Zyprioten warten auf die Umsetzung der Versprechen der Europäischen Union. Finanzielle Hilfe und Handelserleichterungen wurden ihnen in Aussicht gestellt, nachdem 65 Prozent der Bevölkerung im Norden für eine Wiedervereinigung der Insel gestimmt hat. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" warnt der Ministerpräsident der nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordzypern, Mehmet Ali Talat, vor einem Meinungsumschwung: Die Gegner der Wiedervereinigung könnten wieder an Macht gewinnen.
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"Wiener Zeitung": In der Diskussion um einen möglichen EU-Beitritt der Türkei werden zahlreiche Themen angesprochen. Aber wo bleibt das Zypern-Problem?
Mehmet Ali Talat: Das Zypern-Problem ist kein Problem der Türkei. Das ist ein Problem von Tassos Papadopoulos (Präsident der Republik Zypern). Die Türkei hatte sich bereit erklärt, notwendige Maßnahmen für eine Lösung zu setzen, doch Papadopoulos hat dazu aufgerufen, gegen den Annan-Plan zu stimmen. Nun ist er an der Reihe, einen Vorschlag zu liefern. Wir müssen warten.
"Wiener Zeitung": Einige Kommentatoren meinen, die Türkei könnte Zypern als Geisel behalten, um es bei seinen Beitrittsverhandlungen ausspielen zu können.
Mehmet Ali Talat: Es gibt überhaupt keine Anzeichen dafür. Nicht Ankara muss sich bewegen.
"Wiener Zeitung": Die griechischen Zyprioten sagen, die türkischen Zyprioten können sich nicht bewegen. Die türkischen Zyprioten meinen, die griechischen Zyprioten sind stur.
Mehmet Ali Talat: Die türkischen Zyprioten haben in einem Referendum mehrheitlich für eine Wiedervereinigung der Insel, wie es der Annan-Plan vorsieht, gestimmt. Denn sie wollten ein anerkannter Teil dieser Welt werden. Nun warten sie auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Doch das Nein der griechischen hat die türkischen Zyprioten in eine schlechte Lage gebracht. Zypern wurde Mitglied der EU, es ist anerkannt und genießt jetzt alle Vorteile. Wir bleiben isoliert: kein Handel, keine Direktflüge von Nordzypern, keine Verträge. Und das, obwohl wir Ja zur Wiedervereinigung gesagt haben. Was sollen wir sonst noch machen?
"Wiener Zeitung": Ist nicht auch die Europäische Union an der Reihe?
Mehmet Ali Talat: Die Aufgabe der EU ist nicht die Lösung des Zypern-Problems, sondern das Durchbrechen der internationalen Isolation. Die türkischen Zyprioten wollen in die EU, die griechischen Zyprioten halten sie davon ab. Die EU muss den Willen der türkischen Zyprioten honorieren, mit finanzieller Hilfe und der Aufhebung des Handelsembargos. Dies wurde von der EU-Kommission auch beschlossen. Die Umsetzung wollen die griechischen Zyprioten wiederum verhindern. Diese Haltung ist uneuropäisch - und darauf muss die EU reagieren.
"Wiener Zeitung": Wo bleiben die zugesagten 259 Millionen Euro Hilfe?
Mehmet Ali Talat: Das frage ich auch immer wieder. Doch ebenso wichtig ist der direkte Handel, den der Süden verhindern will. Mit Geld allein ist uns nicht geholfen: Wenn wir die Wirtschaft ankurbeln und mehr produzieren, brauchen wir auch Absatzmärkte. Wir bekommen 300 Millionen Dollar jährlich von der Türkei und können unsere wirtschaftliche Situation nicht verbessern. Da würden 259 Millionen Euro für drei Jahre ebenso wenig nutzen, bliebe das Handelsembargo aufrecht. Doch unser Ziel ist nicht nur die Aufhebung der Isolation. Dies wollen wir nur dazu nutzen, das Zypern-Problem zu lösen. Wir wollen keine weitere Teilung, wir wollen Anteil haben, in allen Institutionen repräsentiert sein - indem zum Beispiel der Außenminister ein türkischer Zypriote ist.
"Wiener Zeitung": Was erwarten Sie nun von den griechischen Zyprioten?
Mehmet Ali Talat: Sie sollen entscheiden, was sie möchten. Sie haben den Annan-Plan abgelehnt und uns gleichzeitig versichert, sie lehnen die Wiedervereinigung nicht ab. Nehmen wir an, das stimmt, auch wenn es derzeit nicht den Anschein hat. Sie bieten keine Alternativen an.
"Wiener Zeitung": Hat sich seit dem Referendum also nichts geändert?
Mehmet Ali Talat: Wir haben uns geändert. Noch vor zwei Jahren waren weder die Türkei noch die türkischen Zyprioten sehr kooperativ. Da habe ich als Oppositionsführer mit der UNO gesprochen. Seit der Parlamentswahl im Dezember (als die Opposition in die Regierung kam) und dem Referendum ist aber klar, dass wir eine Lösung wollen. Ich habe deutlich für ein Ja beim Referendum geworben. Die türkischen Zyprioten konnten überzeugt werden, die griechischen noch nicht.
"Wiener Zeitung": Von einem Versagen auch der EU wollen Sie nicht sprechen?
Mehmet Ali Talat: Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht hätte die EU mehr Druck auf den Süden ausüben können. Die griechischen Zyprioten können nicht aufgrund ihrer eigenen Entscheidungen weiterhin den Norden bestrafen. Das dürfte von der internationalen Gemeinschaft nicht toleriert werden. Die EU hat bisher nicht ihr Bestes getan. Denn ein Mitgliedstaat - und Zypern ist einer - darf sich nicht gegen die europäischen Prinzipien stellen. Die zypriotische Regierung ist keine europäische sondern eine orientalische nationalistische Regierung. Sie will uns keinen Raum zum Atmen geben.
"Wiener Zeitung": Könnte die Europäische Union also mehr für Nordzypern tun?
Mehmet Ali Talat: Selbstverständlich. Sie könnte finanzielle Hilfe leisten, freien Handel ermöglichen und die Isolation durchbrechen. Sie könnte uns in ihren Institutionen teilhaben lassen etwa als Beobachter im europäischen Parlament. Derzeit sind 24 griechische Zyprioten dort vertreten, sie setzen ihr Lobbying gegen uns fort, und wir haben kein Recht, unsere Ansicht darzulegen. Auch bei den bereits beschlossenen Maßnahmen zeigt die EU wenig Entschlossenheit, sie umzusetzen.
"Wiener Zeitung": Welche Konsequenzen kann dieses unentschlossene Vorgehen der EU nach sich ziehen?
Mehmet Ali Talat: Wenn die EU ihre Versprechen nicht erfüllt, werden auch die türkischen Zyprioten, die beim Referendum mit Ja gestimmt haben, nicht bei ihrer Haltung bleiben. Es gab eine Gruppe von Politikern und Organisationen, die sich schon damals gegen eine Lösung und speziell gegen eine Wiedervereinigung der Insel ausgesprochen haben. Wir waren dafür und glaubten uns dabei der Hilfe der EU gewiss. Viele Menschen haben mich aus diesem Grund unterstützt und nicht wegen meiner Partei. Wird uns diese Hilfe der EU jedoch nicht zuteil, könnte der andere Block an Stärke gewinnen. Wir müssten dann wieder die Oppositionsrolle übernehmen. Baldige Neuwahlen sind wahrscheinlich.
"Wiener Zeitung": Glauben Sie, dass das Zypern-Problem erst gelöst wird, wenn die Türkei der EU beitritt?
Mehmet Ali Talat: Nein, schon im Laufe des Annäherungsprozesses der Türkei an die EU muss es gelöst werden. Wann? So bald wie möglich. Denn die Menschen im Norden verlieren ihre Geduld.
Das Gespräch führte Martyna Czarnowska