Griechenland braucht echte Reformen, nachhaltige Investitionen und keine Kürzungen an den falschen Stellen.
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Angesichts der neuen und alten Debatten über die Situation in Griechenland ist es vernünftig, auch einige Fragen der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu vertiefen. Speziell am Beispiel Griechenland kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Patient von der Therapie mindestens so sehr Schaden nimmt wie von der Krankheit. Die Motive für einen Fluchtversuch aus einem solchen Krankenhaus sollten also nicht nur auf Unverständnis stoßen.
Auch wenn Griechenland ein einmaliger Fall von langjähriger, dramatischer Misswirtschaft und verkrusteten Strukturen ist, so gilt auch dort, dass gleichzeitige radikale Kürzungen in fast allen Bereichen das Kreislaufsystem blutleer machen. Und genau darum geht es: Natürlich müssen einerseits echte und umfassende Veränderungen stattfinden, andererseits aber brauchen die Wirtschaft und das Finanzsystem genügend Luft zum Atmen, sodass auch gleichzeitig investiert werden kann. Bei den bisherigen erkennbaren Maßnahmen handelt es sich häufig um massive Kürzungen mit der Konsequenz, dass etwa 40 Prozent der Bevölkerung aus der Krankenversicherung gekippt werden und mehr als die Hälfte der jungen Menschen ohne Arbeit übrig bleibt. Dass das viele Menschen nach diesem anhaltenden Absturz verzweifelt macht, war vorherzusehen. Ob die in Griechenland neu gewählten Kräfte einen langfristig tragfähigen alternativen Sanierungsplan haben, ist eine andere Frage.
Aus europäischer Sicht und letztlich auch aus Sicht der Gläubiger müssen also Investitionen forciert und muss gleichzeitig die Schuldentragfähigkeit des Landes verbessert werden. Schon zu Beginn der Krise war das Land nicht illiquid sondern insolvent. Nachdem in der Folge unter absichtlicher Verdrängung dieser Wahrheit das Gläubigerrisiko von den Privaten zu einem Großteil auf den europäischen Steuerzahler übertragen wurde, kommt ein klassischer Schuldenschnitt aus politischen Gründen wohl nicht in Frage. Laufzeitverlängerungen und niedrige Zinsen werden die Folge sein. Das ist deshalb auch ein gangbarer Weg, weil Griechenland eines der wenigen europäischen Länder ist, die ohne Einrechnung des Schuldendienstes einen Haushaltsüberschuss vorweisen. Und mit einem größeren Teil dieser Mittel sollen eben aus eigener Kraft heraus Investitionen getätigt und auch europapolitisch ungewollte, soziale Verwerfungen zurückgenommen werden. Vor allem muss auch der nach wie vor massive Steuerbetrug bekämpft und Reformen in der Verwaltung, etwa im Grundbuchwesen, müssen durchgeführt werden.
Es ist zudem ein europäischer Skandal, dass ohne erkennbare Gegenmaßnahmen innerhalb von 10 Jahren mehr als 250 Milliarden Euro aus Griechenland ins Ausland geschafft wurden. Das meiste davon seit Ausbruch der Krise und Beginn der europäischen Programme und wieder unversteuert. Wenn uns der soziale Zusammenhalt und wirtschaftliche Vernunft wichtig sind, müssen wir gegensteuern. Die EU hat alle Möglichkeiten, auf die Schweiz und erst recht auf die Mitgliedstaaten Druck auszuüben.
Reformieren und investieren statt kaputtkürzen muss also die Richtung sein. Das gilt im Übrigen auch für einige Bereiche der gesamten europäischen Wirtschaftspolitik.