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Fossile Konzerne klagen Staaten auf Basis des Energiecharta-Vertrags auf Schadenersatz im Zuge der Energiewende.
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Dürren, Hitzewellen, Häufung von Naturkatastrophen - angesichts des fortschreitenden Klimawandels haben sich die EU-Staaten im vergangenen Jahr durchaus ambitionierte Ziele gesetzt, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern. Im Rahmen des sogenannten "New Green Deal" der EU-Kommission wollen die EU-Staaten die CO2-Emissionen um 55 Prozent gegenüber dem Referenzjahr 1990 senken. Die Erreichung dieser Ziele könnte einige EU-Staaten aber jetzt teuer zu stehen kommen.
Der Grund dafür ist der sogenannte Energiecharta-Vertrag. NGOs und Politiker sehen darin einen Widerspruch zum Ausstieg aus fossiler Energie. Denn in den vergangenen Jahren nutzen große Energiekonzerne immer häufiger diesen Vertrag, um EU-Länder vor internationalen Schiedsgerichten auf Investitions- und Gewinnentgang zu klagen.
Der wohl prominenteste Rechtsstreit ist jener zwischen dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall und der Bundesrepublik Deutschland. Vattenfall hat wegen seines Kohlekraftwerks und einmal wegen des beschlossenen Atomausstiegs geklagt. Der erste Streit endete in einer Einigung, der zweite läuft noch. Medienberichten zufolge soll die Bundesrepublik bisher aber 21 Millionen Euro an Gerichtskosten ausgegeben haben.
Die britische Firma Rockhopper fordert unter Berufung auf den Energiecharta-Vertrag eine Entschädigung von Italien wegen des Ölbohrverbots vor der Adria Küste. Rockhopper fordert 40 Millionen US-Dollar für bereits getätigte Investitionen und weitere 300 Millionen für zukünftige, entgangene Gewinne.
Häufung an Klagen
Der sogenannte "Energy Charta Treaty" (ETC) wurde Anfang der 1990er-Jahre ins Leben gerufen, um ausländische Investitionen in den ehemals kommunistischen Ländern vor Enteignung und politischer Willkür zu schützen. Derzeit hat die Charta 53 Vertragsparteien, darunter die Europäische Union und zahlreiche andere europäische Länder.
Während zu Beginn vor allem gegen politische Willkür und Enteignung in Nicht-EU-Ländern geklagt wurde, kam es in den vergangenen Jahren immer häufiger zu Klagen gegen EU-Mitgliedsstaaten. Etwa wegen neuer Umweltgesetze, die sich gegen fossile Energieträger richten.
Berechnungen des Recherchenetzwerks "Investigate Europe" zufolge schützt der ETC fossile Infrastruktur in der EU, Großbritannien und der Schweiz in der Höhe von 344,6 Milliarden Euro. Aktuell prozessieren in 74 Prozent der Fälle europäische Investoren gegen EU-Mitgliedsstaaten.
Auch die EU-Kommission sieht in der bestehenden Form des ETC einen möglichen Interessenskonflikt mit den Klimazielen und dem Pariser Abkommen. Deshalb schlug sie eine Adaptierung des Vertrags unter Berücksichtigung der EU-Rechtssprechung vor. Zudem sollen Klima- und Umweltaspekte stärker berücksichtigt werden, um den Ausbau erneuerbarer Energien nicht zu bremsen. Das Schiedsgerichts-System soll außerdem in Richtung der Vorgaben des UN-Kommissariats für Internationales Handelsrecht reformiert werden.
Reform oder Ende?
"Der Energiecharta-Vertrag ist nicht vereinbar mit dem Pariser Klimaabkommen", sagt Johanna Bürger von der globalisierungskritischen NGO Attac. Die NGO hat deshalb nun eine Petition für einen gemeinsamen Ausstieg der europäischen Länder aus dem Vertragswerk gestartet. Das Problem sei die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, das sogenannte "Investor-State Dispute Settlement". "Es ist eine Paralleljustiz, die sich der demokratischen Kontrolle entzieht und in der Praxis nur von großen Investoren in Anspruch genommen wird", sagt sie.
Auch die IG-Windkraft fordert einen gemeinsamen Ausstieg aus dem Abkommen. Ein generelles Ende des internationalen Investitionsschutzes sei aber nicht zielführend. "Wir brauchen trotzdem die Sicherheit für Investitionen im erneuerbaren Bereich, dass nicht rückwirkend Abkommen geändert werden oder Investitionszusagen zurückgenommen werden", sagt Martin Fliegenschnee von der IG Windkraft. Ein solches Schiedsgericht könne etwa beim Europäischen Gerichtshof oder beim Internationalen Gerichtshof angesiedelt sein.
Fossile Konzerne, die in der Kritik stehen, Staaten mittels der Charta zu erpressen, verweisen auf die geltende Rechtslage und bereits getätigte Investitionen, die sich nun nicht mehr rentieren. Zudem würden Investitionsschutzabkommen ausländische Investoren anlocken.