Zum Hauptinhalt springen

Ionenstrahlen killen Krebsgeschwüre

Von Richard E. Schneider

Wissen

In 90 Prozent der Fälle völlig zerstört. | Ab 2008 neues Behandlungszentrum in Heidelberg. | Tübingen. Die Möglichkeiten der Krebstherapie werden um eine Facette reicher: Mittels Ionenstrahlen können Tumore in 90 Prozent der Fälle komplett zerstört werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Erforscht wird dies bereits seit zehn Jahren von der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Seit damals läuft das Pilotprojekt "Ionenstrahlentherapie für Krebskranke", in dessen Rahmen bereits rund 400 Patienten behandelt wurden. Im Frühjahr 2008 soll an der Uniklinik Heidelberg das erste Zentrum für Ionenstrahlen-Behandlungen eingeweiht werden.

Das Verfahren, das Physiker des GSI gemeinsam mit Radio-Onkologen von der Uniklinik Heidelberg und dem Deutschen Krebsforschungszentrum entwickelt haben, ist beeindruckend: Aus einem 120 Meter langen Linearbeschleuniger und einem 70 Meter im Durchmesser großen Kreisbeschleuniger werden Kohlenstoff- oder Wasserstoff-Ionen auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Mit etwa 180.000 Kilometern pro Sekunde dringen sie in den Körper in Richtung Krebsgeschwür ein.

Im Gegensatz zu Röntgenstrahlen, deren Wirkung subkutan am stärksten ist und sich mit weiterem Vordringen in den Körper deutlich abschwächt, durchdringen Ionenstrahlen die vor dem Tumor liegenden Gewebeschichten, ohne diese zu schädigen. Erst im Tumor entfalten sie ihre maximale Wirkung.

Mit dem am GSI entwickelten Rasterscanner wird der Tumor Punkt für Punkt abgerastert und durch die hohe Intensität und biologische Aktivität der Ionenstrahlen völlig zerstört. Das gesunde Gewebe wird nicht belastet und so entstehen bis auf Hautrötungen oder Schleimhautreizungen in Einzelfällen auch keine Nebenwirkungen. Die Ionenstrahlen-Krebstherapie erfolgt ambulant. Binnen sechs Wochen und nach etwa 20 Bestrahlungen ist der Tumor in 90 Prozent der Fälle komplett zerstört.

Therapiert werden oft inoperable Tumore im Halsbereich oder in der Schädelbasis. Auch in der Nähe sensibler Organe wie dem Sehnerv können Ionenstrahlen eingesetzt werden, weil sie millimetergenau und auch in der Tiefe steuerbar sind. Der Patient darf sich jedoch nicht bewegen.

Heilungen von Tumoren in bewegten Organen wie der Lunge sind gegenwärtig noch nicht möglich. Ebenso entfallen Tumore mit Metastasen. Jedoch arbeiten die Wissenschafter gegenwärtig an einem Ionenpuls, der mit der regelmäßigen Bewegung des Organs synchronisiert wird.

Neue Ionenstrahlen-Therapien wurden kürzlich für Wirbelsäulen- und Prostata-Tumore programmatisch als neue Pilotprojekte entwickelt. Hier steht die richtige Dosierung für die schnelle, rückstandsfreie Zerstörung des betreffenden Krebsgewebes im Vordergrund. Für die Wirbelsäulen-Therapie werden magnetisch die Ionenstrahlen abgelenkt, so dass sie von mehreren Seiten auf den oft nur schwer zugänglichen Tumor gerichtet werden können.

Ab dem Frühjahr 2008 wird auch in Heidelberg therapiert. Eine komplette Therapie wird pro Patient mit 20.000 Euro veranschlagt, wobei rund 1.000 Patienten pro Jahr behandelt werden sollen. Den Behandlungskosten stehen Einsparungen bei Nachbehandlungskosten oder bisher üblichen Chemotherapien entgegen.

Das GSI gab seine Patente inzwischen an das Unternehmen Siemens AG ab. Dessen Sparte Medical Solutions wird demnächst am Rhön-Klinikum Marburg-Gießen ein erstes Ionen- und Protonenstrahlen-Zentrum errichten. Ähnliche Projekte sind in Lyon und Caen in Frankreich sowie in Pavia/Italien geplant.