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Ipad statt Schulbücher

Von Cathren Landsgesell

Reflexionen

An der Schule "De Ontplooing" in den Niederlanden erfolgt das Lernen zur Hälfte mit digitalen Mitteln. Der Einsatz von Tablets ermöglicht einen individualisierten Unterricht.


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Manchem mag der Anblick spontan nicht so recht behagen: kleine Kinder, die gebannt auf die Bildschirme bunter Ipads starren, von Seite zu Seite wischen, tippen und sich nur dann und wann mit einer Frage an ihre Lehrer wenden. An der Schule "De Ontplooiing" in Amsterdam ist das völlig normal. Die Schule ist als "Ipad-Schule" oder auch "Steve Jobs-Schule" bekannt. Ipads ersetzen hier zu einem großen Teil die Schulbücher - und den Frontalunterricht im Klassenverband. "Es sind die Interessen der Kinder selbst, die sie motivieren, zu lernen. Die Ipads unterstützen sie dabei", sagt Tijl Rood, der Direktor der Schule.

Seine Schule in Amsterdam ist eine von mittlerweile 22 "Steve Jobs"-Schulen in den Niederlanden. Mit dem verstorbenen Apple-Gründer, Steve Jobs, haben sie aber nicht viel zu tun. Die Schulen heißen so, weil 45 Prozent des Lernens statt mit Tafel und Schulbuch mit einem Ipad stattfinden. Rund 1000 Kinder im Alter zwischen vier und zwölf Jahren besuchen inzwischen eine solche Schule. Darunter auch solche, die von konventionellen Schulen bereits aufgegeben worden waren, weil sie Lernschwierigkeiten entwickelten oder sich aufgrund von Versagensängsten zu Hause in Computerspielen vergraben hatten.

Gemeinsame Lehrpläne

Das Konzept mit den Ipads geht auf. Nicht wegen der Tablets, erklärt Rood, sondern wegen des individualisierten Unterrichts, dessen volles Potenzial erst die digitalen Technologien wirklich zugänglich machen. Tijl Rood, von Beruf Lehrer, hat eine jahrelange Suche nach neuen, besseren Unterrichtsmethoden schließlich zu den Steve Jobs-Schulen geführt. Gemeinsam mit anderen gründete er die Initiative "Onderwijs voor een Nieuwe Tijd (O4NT)" (Unterricht für eine neue Zeit, Anmerk.) und entwickelte mit Maurice de Hond, einem IT-Unternehmer und Vater, das Lernkonzept für die Steve Jobs-Schulen. "Wir wollten die Bildung mit den Mitteln von heute neu erfinden. Und das ermöglichen uns die digitalen Me- dien", sagt er.

An den Steve Jobs-Schulen lernen die Kinder schon ab vier Jahren eigenständig. Eltern, Lehrer und - je nach Altersgruppe - die Schüler selbst erstellen gemeinsam einen Sechs-Wochen-Lehrplan, in dem Lernetappen und -ziele festgelegt werden. Mit der Einschulung bekommen die Kinder leihweise ein Ipad, auf dem dieser Plan sowie die verschiedenen Apps und Lernsoftwares installiert sind. Es gibt Unterricht in altersübergreifenden Gruppen zu bestimmten Fächern wie etwa Biologie oder Mathematik, aber auch die Möglichkeit, selbst eigenständig oder im Team mit anderen Schülern auf dem Tablet an Aufgaben zu arbeiten.

Rund 45 Prozent des Tages verbringen die Schüler mit den Geräten. Sie entscheiden weitgehend selbst, wie sie ihren Tag - es sind Ganztagsschulen - gestalten und wo sie ihn verbringen. Es gibt Klassenräume, aber diese sind nicht bestimmten Klassen, sondern verschiedenen Fächern gewidmet: Es gibt Mathematik-, Geografie- und Kunsträume. Was nach einer weiteren Form eines freieren Lernens klingt, erhält durch die digitalen Lehrmittel eine völlig andere Qualität. Die Kinder haben Entscheidungsfreiheit, was sie wann lernen. Die Aufgaben, die sie lösen, sind interaktiv und damit auf ihr Lernniveau abgestimmt. Wer in einem Bereich noch nicht so weit ist, bekommt leichtere Aufgaben; wer weiter ist, schwierigere. Die Ipads mindern damit nicht nur das Risiko zu scheitern, sie befördern einen spielerischen Zugang zu den Lerninhalten.

Wäre das nicht auch ohne Ipad machbar? Tijl Rood verneint: "Wir können mit den Ipads endlich die Ansprüche von Pädagogen wie Maria Montessori oder Helen Parkhurst umsetzen. Denn bis heute scheitert das ja nicht zuletzt an der Organisation", sagt er. Während die konventionelle Schule darauf angewiesen sei, die Kinder nach Altersgruppen zu sortieren und Lerninhalte zu standardisieren, individualisieren die Ipads das Lernen. "Eine normale Klasse kennt höchstens drei Level: Auf dem einen Level die sehr guten Schüler, die sofort alles verstehen, dann diejenigen, die zusätzliche Erklärungen brauchen, und schließlich diejenigen, die irgendwann gar nicht mehr mitkommen", sagt Rood.

"Die Ipads lassen so viele Level in jedem Fach zu, wie es Schüler gibt." Die Lehrer geben dadurch zunächst viel Kontrolle an die elektronischen Geräte ab. Trotzdem können die Lehrer - die hier Coaches heißen- den Lernfortschritt überprüfen, weil die Ipads zugleich ein Monitoring-Instrument für sie sind. Alle sechs Wochen, wenn sie wieder mit ihren Eltern und Lehrern zusammensitzen, um den Lehrplan für die nächsten sechs Wochen zu erstellen, wird anhand der Ipads auch besprochen, welche Lernziele bereits erreicht wurden. Zurzeit arbeitet die Steve Jobs-Schule daran, ein einfacheres System für das Monitoring zu entwickeln.

Auch die Kinder selbst fühlen sich in ihrer Autonomie durch die Ipads besonders unterstützt. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung der angehenden Pädagogin Liza Neto Gomes de Almeida. Sie hat für ihre Bachelorarbeit an der Universität Amsterdam die Steve Jobs-Schule unter die Lupe genommen und die Kinder ausführlich zu ihren Erfahrungen befragt. Herauskam unter anderem, dass die eingesetzten Lernsoftwares in Kombination mit dem autonomen Lernen die Motivation der Kinder, sich Neues anzueignen, besonders befeuern. Das gilt für alle Altersstufen von vier bis zwölf Jahren. "Ich kann das an der Schule täglich sehen: Man geht an den Kindern vorbei - und sie arbeiten. Sie hängen nicht auf Facebook oder Youtube herum. Kommt man eine Stunde später wieder vorbei, arbeiten sie immer noch. Sie wollen ihre Sachen einfach fertig machen", berichtet Rood.

Initiative von Karmasin

Familienministerin Sophie Karmasin würde das Konzept gerne auch an österreichischen Schulen implementiert sehen. Im Februar dieses Jahres hat sie De Ontplooing - was soviel wie Aufblühen bedeutet - in den Niederlanden besucht und sich von Maurice de Hond das Modell erklären lassen. Ursprünglich vor allem an der Integration von digitalen Medien interessiert, war sie bei ihrem Besuch vor allem von der besonderen Atmosphäre der Schule begeistert: "Es war so voller Energie und Wissensdurst. Man spürt, dass die Kinder ganz bei der Sache sind."

Karmasin ist inzwischen überzeugt, dass digitale Medien an die Schule gehören. "Die Kinder unserer Zeit sind einfach sehr viel digital bzw. im Internet unterwegs. Man kann ihnen das in der Schule nicht vorenthalten. Das sind für sie attraktive Medien. Das bringt Motivation." Die Befürchtung, dass Kindheiten damit komplett im virtuellen Raum stattfinden, teilt sie nicht: "Wenn sie ihr Bedürfnis nach digitalen Medien am Vormittag abdecken können, dann wollen sie auch am Nachmittag hinaus, spielen und Sport machen. Sie brauchen ja beides".

Karmasin hat die Initiative "digi4School" ins Leben gerufen, um für die Digitalisierung des Unterrichts zu werben. Unterstützung dafür kommt aus dem Bildungsministerium: Ab dem Schuljahr 2016/17 werden für Oberstufenklassen auch digitale Versionen der Schulbücher angeboten. Eine flächendeckende Ausstattung mit Ipads ist bisher aber nicht vorgesehen. "Längerfristig müssen wir uns aber auch der Gerätefrage stellen", erklärt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek kürzlich gegenüber der APA.

In Österreich werden derartige Ansätze zumeist als Initiativen zur digitalen Bildung gesehen. Folgt man Tijl Rood, so kann es nicht darum allein gehen: "Wenn man Bücher auf Ipads packt, hat man erst mal nicht mehr als PDFs hinter Glas", sagt er. "Neue Methoden in das alte Umfeld zu packen, verändert die Bildung noch nicht. IT ist ja kein Selbstzweck und IT-Kompetenz kann man auch nicht lernen. IT ist ein Werkzeug."

Die Steve Jobs-Schulen erfinden in technologischer Hinsicht das Rad nicht neu. Es wird mit der Lernsoftware gearbeitet, die am Markt verfügbar ist, und mit Lern-Apps aus dem Appstore. Die Lizenzen werden von einer Gruppe an die andere Gruppe weitergegeben. De Ontplooing verwendet zum Beispiel "Language Sea", ein in den Niederlanden entwickeltes Lernprogramm für Sprachen, ebenso wie die Angebote der Khan Academy. "Die Khan Academy ist besonders gut für Mathematik", meint Rood. Welche Software zum Einsatz kommt, hängt auch vom einzelnen Kind ab: "Manche sprechen auf bestimmte Programme besonders gut an und auf andere weniger. Wir versuchen, so weit das möglich ist, auch das zu berücksichtigen", erklärt er.

Flexible Schulzeiten

Dieses Prinzip erschwert die Vergleichbarkeit der Leistungen, wie Rood zugibt, und verlangt den Lehrenden einiges ab: "Sie müssen sich mit allen Programmen und Apps auskennen, um beurteilen zu können, was die Schüler tun." Die Software für die Organisation der Schule und ihre Verwaltung kommt von der Firma von Maurice de Hond, ein Umstand, für den die Schulen bereits kritisiert wurden. Allerdings sind sie keine Privatschulen und erheben keine Gebühren.

Aufgrund flexibler Schulzeiten ist der Aufwand für das Lehrpersonal hoch. Die Schule ist von acht in der Früh bis um fünf am Nachmittag geöffnet. Steve Jobs-Schulen sind für Lehrer nicht nur zeitlich eine Herausforderung. Als Coaches betreuen sie die Kinder intensiver, als dies im 45-Minutentakt des Frontalunterrichts möglich ist. Sie halten Gruppenunterricht, betreuen gemeinsame Projekte der Kinder und stehen jedem einzelnen unterstützend zur Seite. "Man erklärt nicht so viel", meint Rood. "Eher sollte man neugierig sein, auch auf das eigene Fach. Dann lernen die Kinder, selbst Dinge herausfinden zu wollen." Und dies sei schließlich der eigentliche Zweck der Schule, ob mit oder ohne Ipad.