Paris - "Niemand hier will einen Krieg", versicherte George W. Bush vor einigen Wochen treuherzig - und ließ Zehntausende US-Soldaten in der Golfregion aufmarschieren. In Europa scheinen sich dagegen immer mehr tatsächlich hinter dem Spruch des US-Präsidenten wiederzufinden: Kaum jemand spricht sich offensiv für einen Krieg aus. Nach der Bevölkerung rücken auch die Politiker zunehmend von der Idee ab, der Zug zu den Schlachtfeldern sei nicht mehr zu stoppen.
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Vom deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder über Frankreichs Präsident Jacques Chirac hin zur Europäischen Union versuchen die Verantwortlichen die Bremse zu ziehen. Nicht die USA, sondern die UNO soll entscheiden, was geschieht - und vor allem wann.
Chiracs Rückzieher
Spektakulär versucht derzeit Chirac, den gallischen Hahn wie eine Friedenstaube herumflattern zu lassen. Zunächst warnte er öffentlich, das französische Militär müsse sich für "alle Eventualitäten" bereit halten. Nach einem öffentlichen Aufschrei fügte der 70-jährige Polit-Profi einen Tag später hinzu, Soldaten müssten eben allzeit bereit sein. Frankreichs Position habe sich nicht geändert, Krieg bleibe immer "das letzte Mittel".
Selbstbewusst stellt Chiracs Regierungschef Jean-Pierre Raffarin die französische Strategie unter das Stichwort "Besonnenheit". In Cote d'Ivoire sollten Soldaten aus Frankreich mit für den Frieden sorgen, parallel sei Außenminister Dominique de Villepin nach Russland, China und Südkorea gereist, um über die Konfliktherde Irak und Nordkorea zu beraten, so der Pariser Premier. Frankreich hat in diesem Monat den Vorsitz im Weltsicherheitsrat, im Februar übernehmen die Deutschen den Stab.
Countdown stoppen
Beide Länder versuchen derzeit alles Erdenkliche, um den amerikanischen Countdown noch zu stoppen. Immer wieder kursiert die Formel vom "letzten Mittel". Auf der Ebene der anderen EU-Staaten scheinen sich die meisten der Pariser Haltung anschließen zu wollen. Einigkeit gibt es aber noch nicht; zu offen hat sich der britische Premier Tony Blair auf die Seite von Bush gestellt. Nun fällt auch in London wieder häufiger das Wort Frieden, das verbale Säbelrasseln scheint vorerst vorbei. Die EU jedenfalls "will keinen Krieg", versichert der griechische Regierungschef und EU-Vorsitzender Kostas Simitis. Entscheiden müsse der UNO-Sicherheitsrat, und dort sollen sich die derzeit vier EU-Staaten im wichtigsten New Yorker Gremium (Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Spanien) zunächst abstimmen. "Ohne Beweise wird es sehr schwierig sein, einen Krieg zu beginnen", betont der oberste EU-Außenpolitiker Javier Solana.
Maximale Verzögerung
"Je länger man die Entscheidung über den Krieg hinauszögern kann, desto besser", sagt ein Diplomat in Paris. Und selbst wenn die vermuteten irakischen Waffen gefunden würden, könnten diese auch durch den Irak selbst unter Aufsicht beseitigt werden.