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Zu der in den USA tagaus tagein wiederholten und inzwischen auch weithin akzeptierten Behauptung, Saddam Hussein sei der Superman des Bösen, aus dessen rauchendem Revolver Präsident George W. Bush zuletzt einen Atompilz steigen ließ, gibt es - auf die Notwendigkeit eines Krieges zugespitzt - zwei kontrastierende Domino-Szenarien: Die eine lässt den Krieg als einen mit punktgenauen High-tech-Waffen, nur 15 bis 20 Prozent des US-Militärpotentials in Anspruch nehmenden und auf die Hilfe irakischer Oppositioneller zählenden rasch beendbaren Einsatz erscheinen. Und das Beispiel eines demokratischen Irak könnte auf den gesamten Mittleren Osten ausstrahlen und noch andere undemokratische Regime wie Dominosteine zu Fall bringen. Gelang es doch, nach 1945 in Mitteleuropa und Japan und nach 1989 in Osteuropa einer wenn auch nicht immer Jeffersonianischen Demokratie zum Sieg zu verhelfen. Die andere lässt den Krieg trotz Präzisionswaffen und angesichts zerstrittener Kurden und Schiiten im Häuserkampf um Bagdad doch als blutigere Angelegenheit erscheinen. Und Saddam Hussein, bei dem es im Gegensatz zum "Desert Storm" von 1991 nun um den eigenen Kopf geht, würde auch von BC-bestückten Raketen Gebrauch machen, die, auf Israel abgefeuert, auch einen Gegenschlag auslösen würden, worauf in der arabisch-islamischen Welt auch amerikafreundliche Regime wie Dominosteine zu Fall kommen könnten.
Das Argument, es sei keine Zeit mehr zu verlieren, hat aus militärischer Sicht viel für sich: Nur im kälteren Jänner und Februar können amerikanische Soldaten mit BC-Schutzkleidung leichter kämpfen und in längeren Nächten von ihren Nachtsichtgeräten Gebrauch machen. Der Waffentransportaufmarsch ist ja schon im Gange und mit 9 bis 13, der Krieg mit monatlich 6 bis 9, ein teilweiser Rücktransport mit 5 bis 7 und eine noch notwendige Besetzung mit monatlich einer bis 4 Milliarden Dollar vorauskalkuliert.
Trotz weniger leicht kalkulierbarer Verluste an eigenen Soldaten, irakischen Zivilisten und internationaler Unterstützung im Kampf gegen den Terror hat Präsident Bush vom Kongress eine satte Ermächtigungsmehrheit für den Fall erhalten, dass die USA auch ohne UNO-Mandat und nur mit einer Mini-Koalition den Irak durch einen Präventivschlag entwaffnen müssten. Denn die republikanischen Falken haben mit dem 11. September als Bedrohungshintergrund den Irak zum Thema Nr. 1 der Zwischenwahlen am 5. November gemacht - und demokratische Tauben haben aus Angst, als unpatriotisches Sicherheitsrisiko bezeichnet zu werden, nur zögernd und unter Hinweis auf die Notwendigkeit des Zwischenschritts UNO-legitimierter verschärfter Waffeninspektionen die Falken einzubremsen versucht.
Innenpolitisch könnte die Rechnung der Republikaner am 5. November mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat aufgehen, es sei denn, die lang andauernde Kriegsdiskussion hätte bis dahin doch mehr Wähler für die Risikoseite einer Kriegsbilanz sensibilisiert. In beiden Fällen wird es nach dem 5. November schwer sein, die Dramatisierung der Bedrohung durch den Irak noch zu steigern.
So könnten durch ihren innenpolitischen Sieg befriedigte oder doch mehr um ihren Wählerrückhalt bangende Republikaner nach einem Schlupfloch zwischen den beiden Domino-Szenarien suchen und sich etwa mit einem nur teilweise verschärften Inspektoren-Regime und mit den von Frankreich favorisierten zwei Resolutionsstufen abfinden. Und da auch unter neuen Bedingungen einreisende Inspektoren wohl kaum innerhalb von Wochen die Entwaffnung des Irak bestätigen könnten, könnte sich das Winterfenster für einen Waffengang im Jahr 2003 auch noch schließen.
Offen bliebe freilich die Frage, ob sich die Bedrohung der USA durch zwei weitere "Schurken"-Staaten oder ein halbes Dutzend "Terrorunterstützer"-Staaten oder das noch weiter reichende El-Kaida-Netzwerk durch eine vorerst friedliche Irak-Lösung schon abhaken ließe. Ohne eine am Beispiel Irak vorexerzierte antizipierende Selbstverteidigung könnte man sich allerdings Beispielsfolgen etwa für Russland (Georgien), China (Taiwan) oder Pakistan und Indien ersparen.