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Irak oder das Ende einer Utopie

Von Karl Pisa

Politik

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Nicht weniger als ein "remake" des gesamten "Middle East" sollte es werden: nach einem rasch gewonnenen high tech-Krieg eine bejubelte Befreiung, ein zügiger Wiederaufbau und eine auf Nachbarn wie Syrien, den Iran und auch Saudi Arabien beispielhaft wirkende Demokratisierung des Irak. Sogar Vergleiche mit dem Deutschland und dem Japan des Jahres 1945 ließen sich an den Haaren herbeiziehen.

Inzwischen werden andere Vergleiche mit Vietnam 1975 oder Somalia 1993 gezogen. Auch sie hinken. Denn wenn auch die amerikanischen Verluste im besetzten Irak schon höher sind als im Krieg, so sind sie doch ungleich geringer als in Vietnam. Und der Gesichtsverlust der Supermacht USA bei einem Rückzug aus dem Irak wäre nicht nur ungleich größer als in Somalia, er könnte auch zu einer Destabilisierung des gesamten Mittleren Ostens führen.

Nach dem 11. September teils verständliche, teils bewusste Fehleinschätzungen zu beklagen, macht wenig Sinn. Hinter Osama Bin Laden stand nicht Saddam Hussein und die Massenvernichtungswaffen, die ein "Office of special plans" aus ungefilterten Überläuferquellen zusammengebraut hatte, wurden bisher nicht gefunden. Inzwischen aber droht ein ganz anderer Wettlauf mit der Zeit: 2004 will Präsident Bush wiedergewählt werden. 87 Milliarden Dollar für Besatzungskosten und Wiederaufbau wurden ihm zwar genehmigt. Aber der Beweis, dass die Wohltaten der Befreiung größer sind als die Demütigung der Besetzten, steht aus. Raketenangriffe auf festungsartig geschützte Hotels und Hubschrauber mit Soldaten auf Fronturlaub sind medienwirksamer als wiederaufgebaute Schulen und Nahrungsmittellieferungen. Immer mehr Amerikaner wollen ihre Tag für Tag aus dem Hinterhalt angegriffenen boys wieder zuhause haben.

Was also tun? Das Schlagwort "Irakisierung" bedeutet Reduzierung der 140.000 US-Soldaten und Reaktivierung von Teilen der voreilig aufgelösten irakischen Armee sowie Ausbildung irakischer Polizisten. Von letzteren kosten 144 nicht mehr als ein einziger US-Sicherheitsexperte. Ob das schon bald für Ruhe und Ordnung sorgen und für das Einsammeln aller Waffen und das Dichtmachen der Grenzen reichen wird, bleibt abzuwarten.

Aber wenn Präsident Bush neuerdings mehr Demokratie von Damaskus bis Teheran fordert, muss die Probe auf's Exempel in Bagdad bestanden werden. Und da bleibt eine Souveränitätsperspektive, die den Irakern das Gefühl gibt, demnächst wieder Herren im eigenen Haus zu sein, das Allerwichtigste. Dazu braucht man mehr Einfluss der ursprünglich als überflüssig angesehenen UNO und auch die Hilfe kriegsunwilliger "alter" Europäer und nicht nur aus den USA eingeflogene irakische Emigranten.

Trotzdem wird man von der Utopie einer nach westlichem Vorbild im Maßstab 1:1 umsetzbaren Demokratie im Irak Abschied nehmen müssen. Und selbst wenn es in einem kulturell andersartigen Staat der Sunniten, Schiiten und Kurden ein mehr an Demokratie geben sollte, könnte es nicht mehr Amerikahörigkeit zur Folge haben und hoffentlich nicht ein Mehr an islamischen Fundamentalismus, den es vorher im Irak nicht gab.