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Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Auch in Syrien.
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Damaskus. Ein Patt im Sicherheitsrat, ein Patt in Syrien; eine Regierung, die bereit ist, mit immer größerer Härte gegen die Kämpfer der Oppositionskräfte vorzugehen, und dabei auch zivile Opfer bedenkenlos in Kauf zu nehmen scheint. Eine Anti-Assad-Guerilla, die angeblich immer mehr von Jihadi-Kämpfern infiltriert wird, und eine politische Opposition, die bisher nicht in der Lage ist, die Bedenken der alawitischen Minderheit und der Christen, die sich fragen, ob sie denn auch in einem neuen Syrien ihren Platz hätten, zu zerstreuen.
40 Jahre lang hat die Dynastie der Assads in Syrien geherrscht, doch seit März 2011 erodiert die Macht des Präsidenten Bashar al-Assad, und mit jedem Gewalt-Eskalationsschritt durch den Repressionsapparat des Regimes bekam die Opposition neuen Zulauf.
Vor einigen Tagen hat der UN-Sondervermittler Kofi Annan aufgegeben, frustriert von der Untätigkeit der Sicherheitsratsmitglieder und dem mangelnden Willen der politischen Akteure in Syrien, den Konflikt auf friedlichem Weg zu lösen. Annans Fazit in einem Kommentar in der "Financial Times": Der Konflikt könne militärisch nicht gelöst werden, Assad sei Geschichte, und die internationale Staatengemeinschaft müsse endlich geeint auftreten. Doch Letzteres bleibt ein frommer Wunsch: Russland spielt ein zynisches Spiel und will nichts weiter, als den golf-arabischen Staaten und dem Westen den Zugang zum bisherigen Verbündeten Syrien zu verwehren; der Türkei geht es vor allem darum, einen weiteren kurdischen Freistaat (wie im Nachbarland Irak) zu verhindern und ihre Einflusssphäre auszudehnen.
Stellvertreterkrieg mit Iran
Länder wie Saudi-Arabien und Katar wollen vor allem den Einfluss des Iran - Damaskus ist der wichtigste Verbündete Teherans - zurückdrängen, was wiederum den USA, Europa und Israel sehr gelegen käme. Denn das Brechen der Achse Teheran-Bagdad-Damaskus-Beirut am Punkt Damaskus hieße auch, Israels Erzfeinden Hisbollah im Libanon und Hamas in Gaza die Versorgungswege abzuschneiden. Der Iran wäre nach dem Fall Assads wohl nicht mehr länger ein wichtiger Faktor im Nahen Osten.
Doch hat irgendeiner der regionalen und internationalen Player sich Gedanken um die politische Zukunft in Syrien gemacht? Das scheint nicht wirklich der Fall zu sein, aber zumindest derzeit beeinflussen die ausländischen Mächte das Geschehen in Syrien höchstens, bestimmen können sie es nicht.
Mark Twain wird oft der Ausspruch zugeschrieben: "Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich." Wie wahr: In Syrien droht ohne ein klares Modell eines politischen Übergangs ein irakisches Szenario - ein Bürgerkrieg zwischen der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit sowie der alawitischen und christlichen Minderheit. Nun, da mit Annan einer der fähigsten Vermittler auf der geopolitischen Bühne aufgegeben hat, stellt sich die Frage, wie erst einer aus der zweiten Liga eine politische Lösung schaffen sollte.
In einem jüngst erschienen Bericht der angesehenen Brüsseler Denkfabrik "International Crisis Group" appellieren die politischen Analysten der Gruppe vor allem an die Opposition, von ihren Maximalforderungen nach einem völligen Umsturz abzurücken und auf die immer noch großteils Assad-loyalen Alawiten zuzugehen. Warum stellt die Denkfabrik in ihrem Bericht keine Forderungen an die syrische Regierung? "Es ist von einem Regime nichts mehr zu erwarten, das aufgrund seiner Natur nie die Züge eines institutionellen Staates trug und nun nicht mehr länger in der Position ist, Kompromisse zu schließen oder auf Druck oder Anreize zu reagieren oder eine machbare Lösung anzubieten."
Nach dem Anschlag auf den innersten Führungszirkel Assads am 17. Juli, nach der Desertion des syrischen Premierministers Riad Farid Hijab nach nur zweimonatiger Amtszeit und dem Anschlag auf das Staatsfernsehen in Damaskus - die Attentäter hatten wohl Helfer von innen - ist klar, dass Assads Handlungsspielraum rapide schwindet, nicht zuletzt, weil er sich auch auf enge Vertraute längst nicht mehr verlassen kann. Es wird langsam einsam um den Präsidenten.
Doch wie sieht das Endspiel in Syrien aus?
Ein Land im Chaos?
Nahostexperte Heiko Wimmen von der deutschen Stiftung für Wissenschaft und Politik meint im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", Priorität habe die Frage: "Wie verhindern wir, dass Syrien komplett ins Chaos abgleitet, und wie stellen wir sicher, dass der Staat funktionsfähig bleibt?" Wimmen sieht die Furcht von einem irakischen Szenario umgehen - wohl mit einem Schuss Angst vor den Beispielen Afghanistan oder Tschetschenien, wo ein ursprünglich nationalistisch motivierter Kampf gegen den Gegner in einen Jihad religiös motivierter Gruppen mündete.
Wie es militärisch weitergehen könnte, erklärt Wimmen so: "Die syrischen Assad-loyalen Kräfte werden sich darauf konzentrieren, die Städte zu halten, und mehr und mehr Fläche aufgeben." Ein Übergang werde jedenfalls von Tag zu Tag schwieriger: "Erhebliche Teile des Machtapparats haben bereits jetzt Gewaltakte und Kriegsverbrechen zu verantworten. Je größer die Zahl jener wird, die durch solche Taten beschmutzt sind, umso schwieriger wird die Einbindung früherer Elemente des Regimes. In welchem Ausmaß der Konflikt früher oder später konfessionelle Ausmaße annimmt, ist eine weitere Frage."
Die Gefahr eines offenen Bürgerkriegs wird realer, je mehr der zentrale Machtzirkel um Assad zerfällt, weil dann die Alawiten für ihren eigenen Schutz sorgen werden: Der Irak lässt grüßen.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.