Schulterschluss durch Anschläge. | Verhandlung über Konsens-Regierung. | Kairo. (dpa) Innerhalb von zwei Tagen haben im Irak mehr als 160 Menschen ihr Leben verloren. In ihrem Blutrausch ermorden selbst ernannte "Gotteskrieger" schiitische Pilger, Polizeischüler und Hausfrauen auf dem Markt. Von den Verhandlungen der irakischen Parteien, die nun trotz aller Vorbehalte und Wahlfälschungsvorwürfe versuchen, eine Regierung der Nationalen Einheit zu bilden, lassen sich die Selbstmordattentäter und ihre Hintermänner offensichtlich nicht beeindrucken. Auch die Zahl der Videos verzweifelter Geiseln, die im Fernsehen um ihr Leben flehen, hat seit der Parlamentswahl vor drei Wochen nicht abgenommen.
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Radikale Gruppen außer Rand und Band
Beobachter schließen daraus, dass selbst sunnitische Parteien, die Angriffe auf das US-Militär im Irak gut heißen, jeden Einfluss auf die radikalsten Gruppierungen der Terrorszene verloren haben. Damit stellt sich die Frage, ob die mögliche Beteiligung der Sunniten-Parteien an der neuen Regierung wirklich zu einer Beruhigung der Lage beitragen würde, wie viele Menschen noch vor der Wahl gehofft hatten.
Was die jüngsten Gewaltorgien der Fanatiker angeht, so haben in Aufständischen-Hochburgen wie Ramadi oder Tal Afar neben den US-Soldaten die irakischen Polizisten und alle anderen, die in irgendeiner Art und Weise mit der Staatsmacht kooperieren, das höchste Sicherheitsrisiko. Wo eine größere Anzahl von Schiiten lebt, kann dagegen ausnahmslos jeder zur Zielscheibe werden.
Denn alle schiitischen Araber, die mit 60 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe im Irak sind, gelten den Terroristen der Gruppe Al Kaida und anderen Extremisten als Ungläubige, die den Tod verdient haben. Die schiitischen Zivilisten vor Selbstmordattentätern zu schützen, wird damit praktisch unmöglich, will man nicht jeden Busfahrgast, jeden Marktbesucher und jeden Pilger einer Leibesvisitation unterziehen.
Etwas Hoffnung macht die Tatsache, dass im Irak schon vor Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses über die Bildung einer Konsens-Regierung verhandelt wird. Dazu sollen neben den religiösen Schiiten-Parteien und den Kurden auch einige Sunniten und die säkulare Allianz des Schiiten Iyad Allawi gehören. Die Verhandlungen zeigen, dass man in Bagdad glaubt, dass der Irak nicht befriedet werden kann, wenn sich die Regierung nur auf die Mehrheit der Wählerstimmen stützt, ohne die Interessen der unterlegenen Parteien und Volksgruppen. Die jüngsten Terroranschläge erhöhen unterdessen den Druck auf alle politischen Parteien, möglichst bald zu einer Einigung zu finden.